33. UNTERSBERG

SAGENUMWOBENER BERG UND HITERS WALHALLA
Niemand kann sich seinem Einfluss entziehen: Der mächtige Kalkstock liegt wie ein schlafender Riese vor den Toren der Stadt. Von Esoterikern und Nationalsozialisten wurde der schon in der keltischen Mythologie verehrte Untersberg als „Schicksalsberg“ und Schauplatz der letzten großen Schlacht mystifiziert. Die von ihm ausgehende Energie sollte Hitlers Truppen in der
„Götterdämmerung“ in Stalingrad siegen lassen.
Seine jähen Abbrüche und kilometerlangen Höhlen haben die Fantasie der Menschen seit Jahrtausenden beflügelt. Sein Marmor bedeckt die Wege und Paläste der Stadt, und jeder trinkt das klare Wasser, das die Tiefen des Berges freigegeben haben. Über Jahrhunderte wurden zahlreiche Sagen überliefert, die wiederum Mystiker und Esoteriker anzogen. Die wohl bekannteste ist jene von Kaiser Karl dem Großen (gelegentlich auch von Friedrich I. Barbarossa), der, umgeben von seinem Hofstaat, tief im Berginnern schlummert. Wenn Deutschland in höchster Not ist, wird der Monarch hervorbrechen und auf dem Walserfeld eine unvergleichlich blutige, letzte Schlacht gegen den Antichristen schlagen. Als Zeichen des Sieges wird das Wappenschild des Kaisers auf dem Birnbaum auf dem Walserfeld aufgehängt, der oft umgeschlagen wurde, aber immer wieder nachgewachsen ist. In anderen Sagen ist von Riesen, Zwergen, Wilden Frauen und „Wotans Heer“ die Rede. Ihren Ursprung haben sie im Verjüngungskult der keltischen Mythologie, die das Paradies im Untersberg lokalisierte. Erst später kamen die germanischen „Götterdämmerungs-Sagen“ rund um den Berg mit seinen zahlreichen „Kraftplätzen“ auf.

Am hartnäckigsten wurde die Sage um Kaiser Karl von Esoterikern in Beschlag genommen, weil sie daraus das Schicksal Deutschlands zu deuten versuchten, wie der Wiener Guido von List, Verkünder des „Wotanismus“ und geistiger Ziehvater Adolf Hitlers. Er verkündete 1908 das Anbrechen der „Morgen-Götter-Dämmerung des arischen Geistes“ vom Untersberg aus, den „Auszug des Wiedergeborenen“, des „Starken von oben (…), das erneute Armanenrecht allen Völkern zu geben für die werdende kommende Zeit“. 1937 prophezeite Manfred von Ribbentrop in seinem Buch „Um den Untersberg. Sagen aus Adolf Hitlers Wahlheimat“ die „letzte gewaltige Schlacht“, die es zu gewinnen gälte. Nicht zufällig ließ Hitler beim Bau seines Hauses auf dem Obersalzberg ein riesiges Panoramafenster bauen, das den prachtvollen Blick auf den „schlafenden Löwen“ freigab. Auch SS-Reichsführer Heinrich Himmler blickte direkt von seinem Arbeitstisch auf die Bergspitze. Himmler sah sich als Wiedergeburt des mittalterlichen Königs Heinrich des Löwen, er war dem Tibetwahn, der Homöopathie und der Naturheilkunde verfallen. Esoteriker wie der chilenische „Hitlerist“ Miguel Serrano – ein Verehrer des Dalai Lama, den er mehrfach in höchst freundschaftlicher Atmosphäre traf – halten Verschwörungstheorien am Leben, wonach man Juden und Freimaurer durch SS-Kämpfer aus dem Innern des Untersberges vernichten könne.

Die NS-Propaganda nahm die Sage um Kaiser Karl mit geringen Umdeutungen auf: Der Birnbaum wurde zum „Thingbaum“, der Bayernfürst zu Adolf Hitler, das Reich Karls des Großen zum tausendjährigen Dritten Reich. Bald bevölkerten alle germanischen Götter den Schicksalsberg. Angeblich soll Hitler mit dem Gedanken gespielt haben, für sich ein monumentales Grabmal auf dem Gipfel errichten zu lassen. Rüstungsminister Albert Speer schildert eine Szene mit Hitler auf der Terrasse des Berghofes: „Ein starkes Polarlicht überflutete den gegenüberliegenden, sagenumwobenen Untersberg (…) Der Schlussakt der Götterdämmerung hätte nicht effektvoller inszeniert werden können (…) Die Gesichter und Hände eines jeden von uns waren unnatürlich rot gefärbt. Unvermittelt sagte Hitler: ‚Das sieht nach viel Blut aus. Dieses Mal wird es nicht ohne Gewalt abgehen.‘“ Es war der 21. August 1939, wenige Tage später begann Hitler den Zweiten Weltkrieg. (cs)

LITERATURTIPPS:

Gerald Lehner: Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer. Wien 2006.

Christian F. Uhlir: Im Schattenreich des Untersberges. Von Kaisern, Zwergen, Riesen und Wildfrauen. Salzburg 2004.


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