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Niemand kann sich seinem Einfluss entziehen: Der
mächtige Kalkstock liegt wie ein schlafender Riese vor
den Toren der Stadt. Von Esoterikern und Nationalsozialisten
wurde der schon in der keltischen Mythologie
verehrte Untersberg als „Schicksalsberg“ und Schauplatz
der letzten großen Schlacht mystifiziert. Die von
ihm ausgehende Energie sollte Hitlers Truppen in der
„Götterdämmerung“ in Stalingrad siegen lassen. |
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Seine jähen Abbrüche und kilometerlangen Höhlen haben die
Fantasie der Menschen seit Jahrtausenden beflügelt. Sein
Marmor bedeckt die Wege und Paläste der Stadt, und jeder trinkt
das klare Wasser, das die Tiefen des Berges freigegeben haben. Über
Jahrhunderte wurden zahlreiche Sagen überliefert, die wiederum
Mystiker und Esoteriker anzogen. Die wohl bekannteste ist jene
von Kaiser Karl dem Großen (gelegentlich auch von Friedrich I.
Barbarossa), der, umgeben von seinem Hofstaat, tief im Berginnern
schlummert. Wenn Deutschland in höchster Not ist, wird der
Monarch hervorbrechen und auf dem Walserfeld eine unvergleichlich
blutige, letzte Schlacht gegen den Antichristen schlagen. Als
Zeichen des Sieges wird das Wappenschild des Kaisers auf dem
Birnbaum auf dem Walserfeld aufgehängt, der oft umgeschlagen
wurde, aber immer wieder nachgewachsen ist. In anderen Sagen
ist von Riesen, Zwergen, Wilden Frauen und „Wotans Heer“ die
Rede. Ihren Ursprung haben sie im Verjüngungskult der keltischen
Mythologie, die das Paradies im Untersberg lokalisierte. Erst später
kamen die germanischen „Götterdämmerungs-Sagen“ rund um
den Berg mit seinen zahlreichen „Kraftplätzen“ auf.
Am hartnäckigsten wurde die Sage um Kaiser Karl von Esoterikern
in Beschlag genommen, weil sie daraus das Schicksal
Deutschlands zu deuten versuchten, wie der Wiener Guido von List,
Verkünder des „Wotanismus“ und geistiger Ziehvater Adolf Hitlers.
Er verkündete 1908 das Anbrechen der „Morgen-Götter-Dämmerung
des arischen Geistes“ vom Untersberg aus, den „Auszug des
Wiedergeborenen“, des „Starken von oben (…), das erneute Armanenrecht
allen Völkern zu geben für die werdende kommende Zeit“.
1937 prophezeite Manfred von Ribbentrop in seinem Buch „Um
den Untersberg. Sagen aus Adolf Hitlers Wahlheimat“ die „letzte
gewaltige Schlacht“, die es zu gewinnen gälte. Nicht zufällig ließ
Hitler beim Bau seines Hauses auf dem Obersalzberg ein riesiges
Panoramafenster bauen, das den prachtvollen Blick auf den „schlafenden
Löwen“ freigab. Auch SS-Reichsführer Heinrich Himmler
blickte direkt von seinem Arbeitstisch auf die Bergspitze. Himmler
sah sich als Wiedergeburt des mittalterlichen Königs Heinrich
des Löwen, er war dem Tibetwahn, der Homöopathie und der
Naturheilkunde verfallen. Esoteriker wie der chilenische „Hitlerist“
Miguel Serrano – ein Verehrer des Dalai Lama, den er mehrfach
in höchst freundschaftlicher Atmosphäre traf – halten Verschwörungstheorien
am Leben, wonach man Juden und Freimaurer durch
SS-Kämpfer aus dem Innern des Untersberges vernichten könne.
Die NS-Propaganda nahm die Sage um Kaiser Karl mit geringen
Umdeutungen auf: Der Birnbaum wurde zum „Thingbaum“,
der Bayernfürst zu Adolf Hitler, das Reich Karls des Großen zum
tausendjährigen Dritten Reich. Bald bevölkerten alle germanischen
Götter den Schicksalsberg. Angeblich soll Hitler mit dem Gedanken
gespielt haben, für sich ein monumentales Grabmal auf dem
Gipfel errichten zu lassen. Rüstungsminister Albert Speer schildert
eine Szene mit Hitler auf der Terrasse des Berghofes: „Ein starkes
Polarlicht überflutete den gegenüberliegenden, sagenumwobenen
Untersberg (…) Der Schlussakt der Götterdämmerung hätte nicht
effektvoller inszeniert werden können (…) Die Gesichter und Hände
eines jeden von uns waren unnatürlich rot gefärbt. Unvermittelt
sagte Hitler: ‚Das sieht nach viel Blut aus. Dieses Mal wird es nicht
ohne Gewalt abgehen.‘“ Es war der 21. August 1939, wenige Tage
später begann Hitler den Zweiten Weltkrieg. (cs) |
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Gerald Lehner: Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken
des Heinrich Harrer. Wien 2006.
Christian F. Uhlir: Im Schattenreich des Untersberges. Von Kaisern,
Zwergen, Riesen und Wildfrauen. Salzburg 2004.
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