37. „RUSSENFRIEDHOF“ ST. JOHANN

„KILLING FIELDS“ IM PONGAU
Es gibt – besonders auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR – zahlreiche Beweise für Verbrechen und rassistische Kriegsführung der von vielen Veteranen und (Neo-) Nazis als „ehrenvoll“ verherrlichten deutschen Wehrmacht. Hinzu kommen die Schicksale sowjetischer Gefangener – zum Beispiel in St. Johann im Pongau. Hier wurden Tausende Gefangene allein wegen ihrer ethnischen Herkunft zu Tode geschunden; neben Häftlingen aus anderen Staaten, die weit höhere Überlebenschancen hatten.
Eine kleine Gedenkstätte beim ehemaligen Kriegsgefangenenlager im Salzburger Pongau erinnert an ihre Leiden: 3542 Soldaten aus einst sowjetischen Teilrepubliken wurden hier in einem Massengrab bestattet. Das „Stalag XVIII C“ bestand bis 1945.

St. Johanner Politiker und Veteranen-Verbände unter Dominanz der christlich-konservativen Volkspartei (ÖVP) versuchten seit 1945, einen Mantel des Vergessens über diesen sogenannten „Russenfriedhof“ zu breiten. Der Kalte Krieg half dabei. Bei Straßenbauten und Streitereien von Grundbesitzern im Umfeld wurde die Anlage in den 1960er-Jahren vom öffentlichen Wegenetz abgeschnitten. Nur Friedhofspfleger des „Schwarzen Kreuzes“ engagierten sich, gelegentlich kamen Besucher. Dem Pongauer Historiker Michael Mooslechner und der Mittelschullehrerin Annemarie Zierlinger ist es zu verdanken, dass die St. Johanner Stadtregierung zunehmend unter Druck geriet. Gymnasiasten dokumentierten Lager und Gedenkstätte im Projektunterricht. 2006 begannen Planungen für die neue Zufahrtsstraße, die von Land Salzburg und Gemeinde finanziert wird.

Im südlichen Bereich waren Franzosen, Briten, Polen und Serben untergebracht, die relativ anständig behandelt wurden. Im Norden litten Russen und Angehörige anderer Nationen der Sowjetunion. „Sie galten als minderwertige Ostmenschen und mussten härteste Arbeiten verrichten – unter katastrophalen Bedingungen“, sagt Mooslechner. So mussten sie wochenlang unter offenem Himmel in Erdlöchern hausen, sich von Würmern und Gras ernähren, weil sie gezielt dem Hungertod ausgesetzt wurden. Zeitweise lebten bis zu 30.000 Menschen in dem Lager. Täglich starben etwa 40 Rotarmisten. Wer hier lebend ankam, hatte ohnehin „Glück“ gehabt. Der Zeitzeuge Erwin Lehner, 1922 in Bad Gastein geboren, musste mit ansehen, wie hier im Winter ein Zug aus Russland von Wehrmachtssoldaten entladen wurde: „Als sie den Viehwaggon öffneten, fielen steifgefrorene Tote heraus. Im Laderaum lagen nur Leichen. Ich wurde von Wachposten in scharfem Ton aufgefordert, schnell weiterzugehen. Später erfuhr ich, dass diese Gefangenen vor der Ankunft in St. Johann bis zu 14 Tage Bahnfahrt ohne Verpflegung durchzustehen hatten.“

Wie eng Wehrmacht und SS verzahnt waren, zeigten auch die letzten Kriegstage, als am 1. Mai 1945 prominente Gefangene nach St. Johann gebracht wurden: vier britische Offiziere, darunter der Neffe der Königin und der Neffe des britischen Oberkommandierenden in Nahost, ein amerikanischer Offizier und 16 Anführer des Warschauer Aufstandes. SS-Reichsführer Heinrich Himmler hatte die Überstellung von Leipzig über Pilsen, Tittmoning und Laufen in den Pongau veranlasst, um Geiseln als Faustpfand gegen die Verhaftung durch die Alliierten zu haben. Der Befehlshaber des millionenfachen Mordes in Konzentrationslagern saß damals auf der Flucht in dem kleinen Salzburger Bergdorf Eschenau, nicht weit von St. Johann. Hier, in die sogenannte (nie existierende) „Alpenfestung“, hatten sich einige der obersten Verbrecher zurückgezogen, darunter auch Hermann Göring. Der SS-Offizier Gottlob Berger widersetzte sich den Befehlen zur Erschießung der Geiseln und ließ diese – eigennützig im Hinblick auf die eigene Festnahme – wenige Tage später nach Wörgl in Tirol fliehen, wo schon die US-Armee stand. (gl)

LITERATURTIPPS:

Michael Mooslechner: Das Kriegsgefangenenlager STALAG XVIII C „Markt Pongau“. Todeslager für sowjetische Soldaten. Geschichte und Hintergründe eines nationalsozialistischen Verbrechens in St. Johann / Pongau während des Zweiten Weltkrieges. Salzburg 2005. Info: Die Broschüre liegt bei der Gedenkstätte auf und kann kostenlos
entnommen werden.


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