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In der Bergregion Salzburgs („Innergebirg“) gab es
mutige Männer und Frauen, die Hitlers regionalen
Bonzen enorme Schwierigkeiten bereiteten. Wehrmachtsdeserteure
lieferten bei Goldegg der SS sogar ein
Gefecht. Der Dorfgasteiner Pfarrer Andreas Rieser
wurde im KZ Dachau furchtbar gefoltert. Nur der Saalfeldener
Sozialdemokrat Karl Reinthaler durfte sich
nach dem Krieg über ein langes Leben in Freiheit freuen. |
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Am 2. Juli 1944 – zehn Monate vor der Befreiung Salzburgs
durch die US-Armee – ermordete die SS im Salzburger Pongau
untergetauchte Regimegegner und Deserteure. Am 2. Juli 2005 war
in der Region endlich Schluss mit jahrzehntelangem Schweigen: Die
Trachtenmusikkapellen Taxenbach und Goldegg spielten mit der
Band des Gitarristen Harri Stojka und führten vor 3000 Menschen
beim Böndlsee die „Symphonie der Hoffnung“ auf (Komposition:
Thomas Doss, historische Forschung: Michael Mooslechner). Auf
dem Original-Schauplatz gedachte man des Dramas von 1944:
Spitzel der Gestapo hatten Regimegegner verraten, die in den
Bergen Hitlers Untergang abwarteten. Sie wurden von Einheimischen
unterstützt. Die Gestapo wollte deshalb die Goldegger
Bevölkerung in den Osten deportieren, wozu es dann nicht kam.
SS-Soldaten machten Jagd auf Karl Ruppitsch, Peter Ottino,
August Egger, Ernst Klug, Sebastian Bürgler, Simon Hochleitner,
Alois Hochleitner, Georg Köstner, Richard Pfeiffenberger und Franz
Unterkirchner. Ruppitsch versuchte, auch andere zum Widerstand
zu motivieren. Im Juli 1944 umstellte die SS ihr Versteck. Der
kampferprobte Peter Ottino tötete zwei SS-Männer, bevor er fiel.
Die anderen gaben auf. Die SS erschoss Simon und Alois Hochleitner
von hinten. Karl Ruppitsch und August Egger wurden im KZ
Mauthausen ermordet. Von österreichischen „Kameradschaften“,
Traditionsverbänden der SS und Wehrmacht wurden diese Widerstandskämpfer
dann über Jahrzehnte als „Verräter“ diffamiert.
Pinzgauer Held der Freiheit
Karl Reinthaler war Lokführer und wurde wegen öffentlicher
Kritik am Regime 1942 als Hochverräter verurteilt. Sein Überleben
verdankte der Saalfeldener nur ein paar glücklichen Zufällen. Die
Verbrechen des Nationalsozialismus prägten ihn für sein Leben.
Er trat unermüdlich für Aufklärung und gegen das Vergessen ein.
Schon in seiner Schulzeit war Reinthaler, 1913 in Villach geboren,
den Roten Falken beigetreten, einer sozialdemokratischen Jugendorganisation.
Er wurde Schlosser und Lokführer und bekam einen
Job in Saalfelden.
Dann folgte 1938 Hitlers „Anschluss“, und auch in Saalfelden
gab es brutale Verfolgung von Andersdenkenden. Reinthaler geriet
ins Visier der Gestapo, weil er Hitlers Angriffskrieg in Polen offen
kritisiert hatte. Als Lokführer nahm er aus der Schweiz internationale
Zeitungen mit und verteilte sie unter Eisenbahnern. Er spendete
auch für kommunistische Hilfsorganisationen, die Hitlers Politik
bekämpften. 1942 wurde Reinthaler zu langjähriger Haft verurteilt.
Bis Kriegsende war er Zwangsarbeiter im Zuchthaus Amberg
und erlebte die Befreiung durch amerikanische Truppen nur knapp,
weil er nahezu zu Tode geschunden worden war. Im Sommer 1945
kam er wieder nach Saalfelden und wurde Zeuge, wie Österreichs
Behörden viele ehemalige Täter nur mangelhaft „entnazifizierten“.
Kaum jemand wurde vor Gericht gestellt. Österreich, wie es leibt
und lebt: Reinthaler traf auch den Eisenbahner wieder, der ihn mit
der Chefin des Bahnhofsrestaurants bei den Nazis denunziert hatte.
Nun lachte der Mann: „Karl, wie ist es dir denn ergangen?“
Karl Reinthaler wurde Landtagsabgeordneter der SPÖ, später
Obmann der Bahngewerkschaft und Vizebürgermeister von
Saalfelden. Sein Verhältnis zum Bürgermeister, dem früheren
Nationalsozialisten Adam Pichler, blieb gespannt. 1972 wurde
Reinthaler selbst zum Bürgermeister gewählt. Ab 1983 trat er als
Zeitzeuge vor jungen Leuten auf und wies immer wieder öffentlich
auf Österreichs zweifelhaften Umgang mit der NS-Vergangenheit
und deren Akteuren hin. Als Ehrenbürger Saalfeldens verstarb er
mit 87 Jahren. 2003 wurde das örtliche Gewerkschaftsheim in Karl-
Reinthaler-Haus umbenannt.
Gasteiner Geistlicher übersteht KZ
Andreas Rieser war einer von vielen Geistlichen aus Österreich,
Deutschland und der Tschechoslowakei, die – besonders in Dachau
– zum Teil jahrelang gequält wurden. Viele wurden ermordet.
Rieser hatte 1938 – wie seit Jahrhunderten üblich – eine Urkunde
anlässlich der Renovierung des Dorfgasteiner Kirchturmes verfasst
und darin Hitler kritisiert. Der Spengler, der sie in den Kirchknauf
einlöten sollte, verriet den Priester bei Gasteiner Nationalsozialisten.
Gegen Rieser wurde Anklage wegen „Schmähung des Führers
und der Partei“ und Hochverrates erhoben. Als „Kirchturmkaplan“
musste der Pfarrer in Konzentrationslagern „unsägliche Peinigungen“
ertragen, wie es in seiner Heimatgemeinde heißt. Er habe
nur aufgrund seiner robusten Konstitution knapp überlebt.
Von Mithäftlingen erhielt der Sohn einer Dorfgasteiner Bergbauernfamilie
(Hofname: Präau) wegen wagemutiger Lebensrettungen
im KZ den Titel „Engel von Dachau“. Andreas Rieser musste an
dem berüchtigten Todesmarsch von Häftlingen aus Dachau nach
Tirol teilnehmen, wobei SS-Soldaten noch viele Menschen ermordeten
– wenige Tage vor Kriegsende.
Rieser wurde am 1. Mai 1945 von US-Soldaten befreit und
kehrte heim, mit schwer angeschlagener Gesundheit. Am 3. März
1966 starb er auf dem Rückweg von einem Besuch bei einem
Sterbenden und liegt in seiner letzten Pfarre Bramberg (Pinzgau)
begraben. (gl) |
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Michael Mooslechner, Robert Stadler: St. Johann im Pongau 1938–1945.
Der nationalsozialistische „Markt Pongau“. Der „2. Juli 1944“ in
Goldegg. Salzburg 1986.
Sabine Aschauer-Smolik, Alexander Neunherz: Karl Reinthaler – Dagegenhalten.
Eine Lebensgeschichte zwischen Brüchen und Kontinuitäten
in der Provinz. Innsbruck, Wien, Bozen 2004.
Jan Mikrut (Hg.): Blutzeugen des Glaubens. Martyrologium des 20.
Jahrhunderts. Diözesen Feldkirch, Innsbruck, Gurk, Salzburg, Wien
2000.
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