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Wie unterschiedlich man „Heimat“ verteidigt, hängt von
Charakter und (Herzens-)Bildung ab. Mörder, Kriegsverbrecher,
Hunderttausende ideologische Mitläufer und
Millionen zum Wehrdienst gezwungene Männer „verteidigten“
sie bei Hitlers Angriffskriegen in Europa,
Afrika und Asien. Die Salzburger Ordensschwester Anna
Bertha von Königsegg hatte eine andere „Heimat“, und
diese verteidigte sie gegen die „Euthanasie“ der Nationalsozialisten,
gegen die Massenmorde an Behinderten. |
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Der Mut dieser Frau machte den Nazis schwer zu schaffen. 1940
verbot sie als Oberin der geistlichen Krankenschwestern im
Salzburger Landeskrankenhaus per Dienstanweisung die Mitwirkung
an Zwangssterilisierungen. Auch in Salzburg sollten psychisch
Kranke laut Vorgaben des Regimes unfruchtbar gemacht werden,
ein Programm, das parallel zum Massenmord an Behinderten in der
Gaskammer des Schlosses Hartheim bei Linz (Oberösterreich) lief.
Hauptargument der Nazis war, deren Versorgung käme dem „Volk“
zu teuer, außerdem würden „Erbgeschädigte“ den „arischen“
Nachwuchs gefährden. Der nationalsozialistische Ärztebund – dem
viele Mediziner angehörten, die nach dem Krieg große Karrieren
machten – verglich diese Menschen mit „Ratten, Wanzen und
Flöhen“.
Im Sommer 1940 sollten auch die Pfleglinge der kirchlichen
Versorgungsanstalt Schernberg bei Schwarzach-St. Veit (Pongau)
in Hartheim vergast werden – wie Zehntausende aus anderen
Regionen Österreichs. Anna Bertha von Königsegg bot den Nazis
an, die Versorgung auf eigene Kosten und ohne staatliche Beihilfen
zu gewährleisten. In einem mutigen Brief kündigte sie dem Reichsverteidigungskommissar
an, ihre Nonnen und sie würden jede
Mitarbeit beim Abtransport nach Hartheim verweigern. Verantwortlich
sei ausschließlich sie selbst, schrieb die Schwester. Der Brief
wurde weitum bekannt – und die Nazis scheuten die Öffentlichkeit
bei ihrem Euthanasie-Programm wie der Teufel das Weihwasser. Bei
der katholischen Landbevölkerung stießen die Massenmorde auf
breite Ablehnung. Oft kamen dekorierte Frontsoldaten nach Hause
und erfuhren, dass man ihre behinderten Verwandten abtransportiert
hatte.
Anna Bertha von Königsegg kam elf Tage in Gestapo-Haft.
Die Schernberger Pfleglinge wurden von NSDAP-Hilfskräften und
mordwilligen Ärzten abtransportiert und vergast. Als 70 Kinder aus
Kramsach (Tirol) ebenso bedroht waren, erging wieder eine Dienstanweisung
von Königsegg an das Pflegepersonal ihres Ordens und
eine Mitteilung an den Gauleiter. Aber auch diese Behinderten
konnte sie nicht retten.
Im April 1941 wurde die Ordensfrau wegen Sabotage, Aufwiegelung
und Unruhestiftung verurteilt. Sie solle aus dem Orden
austreten, andernfalls werde sie ins KZ gebracht, hieß es. Sie
weigerte sich und kam vier Monate in Haft. Dann stand sie auf dem
Gut ihres Bruders in Bayern unter Hausarrest. Nach Kriegsende
kehrte sie nach Salzburg zurück und leitete den Wiederaufbau
des durch Bomben beschädigten Ordenshauses. Am 12. Dezember
1948 starb die Verteidigerin einer anderen „Heimat“ an Krebs. (gl) |
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Walter Reschreiter: Lebens(un)wert. NS-Euthanasie im Land Salzburg.
Begleitpublikation zur Ausstellung der Laube Sozialpsychiatrische
Aktivitäten GmbH. Wiedergefundene Lebensgeschichten von Opfern
der Rassenhygiene. Salzburg 2007.
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