39. SCHLOSS SCHERNBERG

NATIONALHELDIN DER ANDEREN ART
Wie unterschiedlich man „Heimat“ verteidigt, hängt von Charakter und (Herzens-)Bildung ab. Mörder, Kriegsverbrecher, Hunderttausende ideologische Mitläufer und Millionen zum Wehrdienst gezwungene Männer „verteidigten“ sie bei Hitlers Angriffskriegen in Europa, Afrika und Asien. Die Salzburger Ordensschwester Anna Bertha von Königsegg hatte eine andere „Heimat“, und diese verteidigte sie gegen die „Euthanasie“ der Nationalsozialisten, gegen die Massenmorde an Behinderten.
Der Mut dieser Frau machte den Nazis schwer zu schaffen. 1940 verbot sie als Oberin der geistlichen Krankenschwestern im Salzburger Landeskrankenhaus per Dienstanweisung die Mitwirkung an Zwangssterilisierungen. Auch in Salzburg sollten psychisch Kranke laut Vorgaben des Regimes unfruchtbar gemacht werden, ein Programm, das parallel zum Massenmord an Behinderten in der Gaskammer des Schlosses Hartheim bei Linz (Oberösterreich) lief. Hauptargument der Nazis war, deren Versorgung käme dem „Volk“ zu teuer, außerdem würden „Erbgeschädigte“ den „arischen“ Nachwuchs gefährden. Der nationalsozialistische Ärztebund – dem viele Mediziner angehörten, die nach dem Krieg große Karrieren machten – verglich diese Menschen mit „Ratten, Wanzen und Flöhen“.

Im Sommer 1940 sollten auch die Pfleglinge der kirchlichen Versorgungsanstalt Schernberg bei Schwarzach-St. Veit (Pongau) in Hartheim vergast werden – wie Zehntausende aus anderen Regionen Österreichs. Anna Bertha von Königsegg bot den Nazis an, die Versorgung auf eigene Kosten und ohne staatliche Beihilfen zu gewährleisten. In einem mutigen Brief kündigte sie dem Reichsverteidigungskommissar an, ihre Nonnen und sie würden jede Mitarbeit beim Abtransport nach Hartheim verweigern. Verantwortlich sei ausschließlich sie selbst, schrieb die Schwester. Der Brief wurde weitum bekannt – und die Nazis scheuten die Öffentlichkeit bei ihrem Euthanasie-Programm wie der Teufel das Weihwasser. Bei der katholischen Landbevölkerung stießen die Massenmorde auf breite Ablehnung. Oft kamen dekorierte Frontsoldaten nach Hause und erfuhren, dass man ihre behinderten Verwandten abtransportiert hatte.

Anna Bertha von Königsegg kam elf Tage in Gestapo-Haft. Die Schernberger Pfleglinge wurden von NSDAP-Hilfskräften und mordwilligen Ärzten abtransportiert und vergast. Als 70 Kinder aus Kramsach (Tirol) ebenso bedroht waren, erging wieder eine Dienstanweisung von Königsegg an das Pflegepersonal ihres Ordens und eine Mitteilung an den Gauleiter. Aber auch diese Behinderten konnte sie nicht retten.

Im April 1941 wurde die Ordensfrau wegen Sabotage, Aufwiegelung und Unruhestiftung verurteilt. Sie solle aus dem Orden austreten, andernfalls werde sie ins KZ gebracht, hieß es. Sie weigerte sich und kam vier Monate in Haft. Dann stand sie auf dem Gut ihres Bruders in Bayern unter Hausarrest. Nach Kriegsende kehrte sie nach Salzburg zurück und leitete den Wiederaufbau des durch Bomben beschädigten Ordenshauses. Am 12. Dezember 1948 starb die Verteidigerin einer anderen „Heimat“ an Krebs. (gl)

LITERATURTIPPS:

Walter Reschreiter: Lebens(un)wert. NS-Euthanasie im Land Salzburg. Begleitpublikation zur Ausstellung der Laube Sozialpsychiatrische Aktivitäten GmbH. Wiedergefundene Lebensgeschichten von Opfern der Rassenhygiene. Salzburg 2007.


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