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Für etwa 5000 Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer
führte der Weg in die Freiheit über den 2633 Meter hohen
Krimmler Tauern. Diese den Konzentrationslagern entkommenen
Juden nutzten Salzburgs Berge als Schlupfloch nach
Genua und in den Nahen Osten. Gleichzeitig waren auf
dieser Route über die Hohen Tauern auch einige Massenmörder
des Hitlerregimes auf der Flucht. Für sie ging es
nach Italien, dann nach Lateinamerika. Anders als der
Mythos von NS-Fluchthilfeorganisationen
wie der „Odessa“
glauben lassen mag, machten sich Angehörige von Wehrmacht,
SA, SS und NSDAP unorganisiert aus dem Staub. |
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Geheimorganisationen waren gar nicht nötig, halfen doch
katholische Kirche, Rotes Kreuz, Vatikan und später auch der
amerikanische CIC tatkräftig mit, die NS-Verbrecher zu schützen.
Die geheimen Wege, auf denen NS-Verbrecher von Österreich bis
Südamerika flüchteten, konnte selbst „Nazijäger“ Simon Wiesenthal
nicht alle rekonstruieren. Erst das 2008 erschienene Buch von Gerald
Steinacher „Nazis auf der Flucht“ zeichnet mithilfe neu entdeckter
Dokumente minutiös die Schlupflöcher nach, durch die Verbrecher
wie Josef Mengele, Klaus Barbie und Erich Priebke entkommen
waren. Der sicherste Fluchtweg führte über den Brenner, da die
Südtiroler Bauern den Flüchtigen gerne Unterschlupf gewährten.
Die zweitwichtigste Route waren die Salzburger Alpenübergänge,
wo sich oft die Fluchtwege der KZ-Schinder mit denen ihrer Opfer,
die nach Palästina auswanderten, kreuzten. Die Nazi-Flucht fand
1946 und 1948/49 ihren Höhepunkt.
Das überforderte Internationale Komitee vom Roten Kreuz
(IKRK) – mit Delegation in Salzburg – stellte ohne Nachprüfung
120.000 Pässe an staatenlose Flüchtlinge aus, zahlreiche auch an
gesuchte Verbrecher. Die prodeutschen und zum Antisemitismus
tendierenden Präsidenten Burckhardt und Ruegger nahmen dies
in Kauf. Anders der Vatikan: Hier versteckten Kirchenobere wie
einfache Klosterbrüder gezielt Schwerverbrecher, weil gerade SSler
als „aufrechte antikommunistische Kämpfer“ galten. Auf alle Fälle
lag der Kirche daran, die vielen vom „Nazigeist Betörten“ wieder
in die Kirche zurückzuholen („Seelenernte“). Wer vor kurzem noch
Menschen ins Gas geschickt hatte, musste nach katholischem
Verständnis bloß vor einem Priester „aufrichtige Reue“ bekunden,
und seine Sünden waren ihm vergeben. In Einzelfällen wurde bei
Schwerstbelasteten, die dem Nazitum abschwören mussten, sogar
die verbotene „Wiedertaufe“ vollzogen. Die Hauptfigur im Vatikan
war der österreichische Bischof Alois Hudal, der ein glühendes
Bekenntnis zum Nationalsozialismus geschrieben hatte und geflüchtete
Verbrecher wie den Kommandanten des Vernichtungslagers
Treblinka, Franz Stangl, mit Umarmung empfing. Im Schatten der
päpstlichen „Pontificia Commissione Assistenza Profughi“ konnten
auch Nazis vor Verfolgung sicher sein.
Auch in Salzburg entwickelte sich die katholische Laiengruppe
„Intermarium“ als wichtige Fluchthilfeorganisation für Zehntausende
SS-Angehörige, darunter 11.000 Mann der ukrainischen
Waffen-SS. Treibende Kraft war der Salzburger Erzbischof Andreas
Rohracher, der Faschisten und Antikommunisten bereits im Sommer
1945 zusammenbrachte. An diese Organisation dockte bald der
US-Geheimdienst CIC an. Rohrachers Initiative, das 1950 gegründete
und heute noch operierende „Soziale Friedenswerk“, diente
offiziell dem Schutz von Vertriebenen und Ausgebombten, unterstützte
aber vor allem die Familien von Nationalsozialisten, trieb
die gesellschaftliche Integration der ehemaligen Nazis voran und
erhob in der Folge Forderungen zur Freilassung von Major Reder
und Rudolf Heß. Rohrachers Beauftragter war der Wehrmachtsoffizier
und vom DÖW als „rechtsextremer Funktionär“ eingestufte
Norbert Scharnagl.
Personalausweiskarten en masse stellte auch die kleine Gemeinde
Krimml aus, die direkt am Übergang ins Südtiroler Ahrntal lag.
Tausende andere flüchteten über Zell am See und Kaprun.
Besonders aktiv in der Besorgung von Reisepässen und Visa
für Südamerika war die kroatische Hilfsstelle für Flüchtlinge unter
Monsignore Krunoslav Draganovic mit einem Büro in Salzburg, die
„Caritas Croata“. Sie ermöglichte der Besatzung um den bekannten
Kampfflieger Hans-Ulrich Rudel die Flucht, die mit Ausweisen der
Stadt Salzburg nach Argentinien entkamen, sowie zahlreichen
Ustascha-Kämpfern und Kollaborateuren. Der Kriegsverbrecher
und Vatikan-Gesandte Draganovic bot ein unheimliches Bild, der
finstere Priester war immer mit wehendem Mantel und breitkrempigem
Priesterhut bekleidet. Er kollaborierte im Krieg mit der
kroatischen Ustascha-Regierung, die eine halbe Million orthodoxer
Serben ermorden ließ, und war Verbindungsmann zum Vatikan.
In Salzburg ging ihm Pater Velim Cecelja zur Hand. Sie schleusten
etwa Gerhard Bohne, den „Architekten“ des NS-Euthanasieprogramms,
ins sichere Ausland, den für den Judenmord in Kroatien
verantwortlichen Staatschef Ante Pavelic sowie den NS-Minister
Hans Fischböck (mit einer Identitätskarte der Stadt Salzburg).
Der US-Geheimdienst CIC, das „Counter Intelligence Corps“
(das eigentlich dazu da war, Kriegsverbrecher auszuforschen),
wusste um diese Vorgänge Bescheid und heuerte 1947 sogar
Draganovic als einen ihrer Agenten an, der die „Rattenlinie“, die
Fluchtroute antikommunistischer Agenten, nach Italien betreiben
sollte. „The Golden Priest“, wie er genannt wurde, brachte Ustascha-
Kämpfer in einem sicheren „Rat House“ in Salzburg unter,
bis sie ein CIC-Team über Bad Gastein nach Genua oder Neapel
brachte. 1956 erwarb er in Salzburg sogar die österreichische
Staatsbürgerschaft. Mit seinem Gehalt finanzierte er Waffen und
Sprengstoff für Anschläge in Tito-Jugoslawien.
Der Salzburger CIC war damals eine einzige Pass-Fälscherwerkstatt.
CIC-Chef James Milano schreckte nicht davor zurück,
den SS-Offizier Karl Hass in Salzburg in seinen Dienst zu stellen,
der Kontakt zu Bischof Hudal in Rom hielt. Hass war 1944 am
Massaker in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom beteiligt gewesen.
Aus SS-Kämpfern wurden antikommunistische Agenten. Offiziell
erklärte der CIC Hass als „tot“. Ab 1947 arbeitete auch der
prominente SS-Hauptsturmführer und „NS-Gauredner“ Hermann
Milleder in Salzburg für den CIC. Als einer der besten Plätze für
Anwerbungen galt das Internierungslager Glasenbach, wo der
CIC den SS-Hauptsturmführer Karl Nicolussi-Leck und Franz Haja
als Nazi-Fluchthelfer anheuerte. Diese schleusten daraufhin den
„Glasenbacher“ und KZ-Kommandanten Franz Stangl aus, der
1970 in Düsseldorf wegen der Ermordung von 400.000 Menschen
zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. (cs) |
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Gerald Steinacher: Nazis auf der Flucht. Wie Kriegsverbrecher über
Italien nach Übersee entkamen. Innsbruck 2008.
Thomas Albrich (Hg.): Flucht nach Eretz Israel. Die Bricha und der
jüdische Exodus durch Österreich nach 1945. Innsbruck, Wien 1998.
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