|
|
|
|
Das dem „SS-Ahnenerbe“ unterstellte „Sven-Hedin-Institut für Innerasien und Expeditionen“ zog 1943 in
Schloss Mittersill ein. Leiter dieses Instituts war der
Anthropologe Ernst Schäfer, der gemeinsam mit dem
Zoologen Eduard Paul Tratz die Tibet-Schau im Salzburger
Haus der Natur zusammenstellte. KZ-Häftlinge
mussten in dem als Nebenlager von Mauthausen
geführten Institut arbeiten, in dem 1944 menschliche
Schädel gelagert wurden, deren Herkunft bis heute
nicht geklärt ist. Gegen Kriegsende diente das Schloss
als Depot für Raubkunst. |
|
Der mit dem SS-Totenkopfring und dem „Ehrendegen“ ausgezeichnete
SSler und Anthropologe Ernst Schäfer, Leiter der
sogenannten „Schäfer-Expedition“ nach Tibet 1938/39, zog 1943
in das renovierte Schloss Mittersill ein. Himmler hatte das aus dem
12. Jahrhundert stammende und im Jahr 1938 durch Blitzschlag
beschädigte Schloss für die SS angemietet, das sich im Eigentum
des „Sports and Shooting Club“ befand. Mitbegründer des Clubs
und ehemaliger Schlossherr Hubert von Pantz hatte durch seine
Affäre mit Coco Chanel Bekanntheit erreicht und illustre Gäste wie
das niederländische Königspaar nach Mittersill geholt. Dann kam
die SS. Schäfer erhielt von Himmler „Sonderaufträge“, darunter
die Erforschung der innerasiatischen Bevölkerung und Ressourcen,
die dem Dritten Reich und der Kriegswirtschaft zugute kommen
sollten. Das „Sven-Hedin-Institut für Innerasien und Expeditionen“,
im Januar 1943 zu Ehren des schwedischen Tibetforschers Sven
Hedin in München gegründet, zeichnete mitverantwortlich für die
im Februar 1943 eröffnete Tibet-Schau im Salzburger Haus der
Natur. In Mittersill beabsichtigten das „SS-Ahnenerbe“ und Schäfer
eine Ausbildungsschule für Expeditionsteilnehmer nach Innerasien
aufzubauen, der Gau Salzburg bekundete seine Bereitschaft, das
Habachtal für diese Zwecke zur Verfügung zu stellen. Im steirischen
Schloss Lannach entstand eine dem Reichsinstitut in Mittersill
unterstellte „Ahnenerbe“-Abteilung für Pflanzengenetik – heute
Familiensitz des früheren Wirtschaftsministers Martin Bartenstein,
der von der Vorgeschichte Lannachs nichts gewusst haben will.
Ab 24. März 1944 arbeiteten 15 weibliche Häftlinge aus dem KZ
Mauthausen in Mittersill, ein Teil der Frauen wurde weiter nach
Lannach transportiert.
Bis heute nicht geklärt ist die Herkunft der 1944 in Mittersill
gelagerten „Judenschädel“. Der Anthropologe Bruno Beger, Teilnehmer
der „Schäfer-Expedition“ und Mitarbeiter in Schloss
Mittersill, reiste im Sommer 1943 ins KZ Auschwitz und wählte
polnische, jüdische und „innerasiatische“ Häftlinge für Versuche
im Rahmen anthropologischer Schädel- und Körpervermessungen
aus. 86 von ihnen ließ der Straßburger Anatom August Hirt ins KZ
Natzweiler-Struthof bringen und dort ermorden. Die Skelette und
Schädel der Ermordeten dienten Anatomen und Anthropologen
als „Forschungsmaterial“ – ein Teil der Schädel dürfte sich auf
Schloss Mittersill befunden haben, denn ein Mitarbeiter Schäfers
beschwerte sich im Juni 1944 über die „Judenschädel“, die hier nur
„herumstehen“ würden. Was weiter mit den Schädeln geschah, liegt
im Dunkeln. Der Geschäftsführer des „SS-Ahnenerbes“, Wolfram
Sievers, beauftragte Beger im Februar 1945, alle Akten, „die mit
der Angelegenheit Auschwitz/Hirt in Verbindung stehen, sofort
und restlos zu vernichten“.
Anfang 1945 brachte Schäfer in Westsibirien beheimatete
Przewalski-Pferde nach Mittersill, da Himmler eine Pferdezucht
für seine „Ostbesiedlung“ aufbauen wollte, doch der Zusammenbruch
des Dritten Reichs stand unmittelbar bevor. Gegen
Kriegsende diente Schloss Mittersill als Depot für wertvolle niederländische
und französische Meisterwerke, die als Raubkunst über
die „Dienststelle Mühlmann“ nach Salzburg kamen. Die US Army
befreite am 8. Mai 1945 die KZ-Häftlinge auf Schloss Mittersill und
sicherte die Kunstwerke und das verbliebene Forschungsmaterial
des „Sven-Hedin-Instituts“. Von Schädeln war in den Unterlagen
keine Rede mehr. Im Mai 1946 übergab die US Army Teile der
Mittersiller „Sven-Hedin-Collection“ an das Haus der Natur. Die
US-Militärbehörden machten die ehemaligen Eigentümer der aus
den Niederlanden, Belgien und Frankreich stammenden Kunstwerke
ausfindig und restituierten diese. Ernst Schäfer wurde von
einem Gericht als „Mitläufer“ eingestuft und kam nach kurzer
Haft wieder frei. Er konnte seine wissenschaftliche Karriere in
Deutschland fortsetzen. Bruno Beger lebte bis in die 1970er-Jahre
unbehelligt in Deutschland, 1974 verurteilte ihn ein Frankfurter
Gericht wegen Mitwisserschaft an 86-fachem Mord zu einer Haftstrafe,
die er aber nie antreten musste.
Der „Sports and Shooting Club“ übernahm Schloss Mittersill
nach 1945 wieder und führte es als Hotel, Stars wie Bob Hope, Clark
Gable, Aristoteles Onassis oder der Schah von Persien verbrachten
hier ihre Ferien. Heute ist das Schloss ein Konferenzzentrum. (sr) |
|
|
Michael H. Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur
Kulturpolitik des Dritten Reiches. München 1997.
Gerald Lehner: Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken
des Heinrich Harrer. Wien 2006.
Oskar Dohle, Nicole Slupetzky: Arbeiter für den Endsieg. Zwangsarbeit
im Reichsgau Salzburg 1939–1945. Wien, Köln, Weimar 2004.
|
|
|
|
|
|
|
|
|