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Unweit des Innviertler Ferienortes Ibm und seinen wunderschönen
Seen betrieb die Deutsche Arbeitsfront
(DAF), der NS-Einheitsverband der Arbeitgeber und
Arbeitnehmer, bei St. Pantaleon-Weyer ein berüchtigtes
„Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager“. Es
befand sich an der Landesgrenze Oberösterreichs zu
Salzburg und ist ein gutes Beispiel für den Umgang
vieler Gemeinden und Städte mit der NS-Geschichte.
Erst im Jahr 2000 konnte eine Gedenkstätte für die
Opfer eröffnet werden. Hätten nicht ein paar couragierte
Bewohner St. Pantaleons eine Initiative zur
Aufarbeitung der dunklen Seite der „Heimatgeschichte“
gestartet, wäre alles beim Alten geblieben. |
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In das Arbeitserziehungslager St. Pantalaeon-Weyer konnten alle
der NS-Obrigkeit unliebsamen männlichen Personen gebracht
werden. Der NS-Gauleiter von „Oberdonau“, August Eigruber,
informierte im September 1940 alle Bürgemeister des „Reichsgaus
Oberdonau“ über die Funktion des seit Juli bestehenden Lagers:
„Eingeliefert können solche Volksgenossen werden, die die Arbeit
grundsätzlich verweigern, die dauernd blaumachen, am Arbeitsplatz
fortwährend Unruhe stiften oder solche, die überhaupt jede
Annahme einer Arbeit ablehnen, obwohl sie körperlich dazu geeignet
sind. Sie müssen aber alle das 18. Lebensjahr erreicht haben. Auch
asoziale Betriebsführer sind inbegriffen. Nur Fälle krimineller Natur
können hieramts nicht behandelt werden. Und Schwerinvalide, weil
schwere körperliche Arbeit geleistet werden muß.“
Die im Lager inhaftierten Männer wurden von SA-Männern
der Gruppe „Alpenland“ bei der Zwangsarbeit, der Entwässerung
des Gebietes Ibm-Waidmoos, beaufsichtigt, geschlagen, in die
Moosach getrieben, bis sie vor Erschöpfung fast ertranken, und
so schwer misshandelt, dass sie an den Verletzungen starben. Der
damalige Gemeindearzt von St. Pantaleon – als Lagerarzt fälschte
er lange Zeit Todesursachen – zeigte schließlich einen Mord beim
Kreisgericht in Wildshut an. Die Staatsanwaltschaft in Ried nahm
Ermittlungen auf und stellte zahlreiche Verstöße der Lagerleitung
und der Wachmannschaften fest, da es nicht nur zu „Totschlag“
gekommen war, sondern auch zu Erpressung, gefährlicher Drohung
gegen die umliegende Bevölkerung und auch Jugendliche unter
18 Jahren eingeliefert worden waren. Anfang 1941 wurde das
Lager von der DAF überstürzt geschlossen, in ein „Zigeuneranhaltelager“
umfunktioniert und Polizisten als Bewacher eingestellt.
Die inhaftierten Männer wurden nun ebenfalls zu Arbeiten in
Ibm-Waidmoos eingesetzt, Frauen und Kinder halfen den Bauern
bei der Ernte. Den Roma und Sinti wurde jede medizinische Hilfe
verweigert, angegebene Todesursachen wie „Lebensschwäche“
oder „Herzkollaps“ bei Kindern und „Herzfleischentartung“ bei
einer Frau brauchen keinen Kommentar. Das jüngste Opfer war
ein Kind namens Rudolf Haas, das im Lager geboren wurde und
nach fünf Wochen starb. Im Herbst 1941 kam es zur Auflösung
des Lagers, die überlebenden gut 300 Roma und Sinti wurden im
Schnee – spärlich bekleidet und die meisten ohne Schuhe – in Viehwaggons
verladen und über das burgenländische „Zigeunerghetto“
Lackenbach nach Lodz gebracht. Wer nicht im Ghetto starb, wurde
schließlich in Chelmno vergast. Zurück kehrte niemand.
Vor Kriegsende vernichtete die Gemeinde St. Pantaleon
belastende Akten, über Jahrzehnte hüllten sich die betroffenen
Gemeinden in Schweigen. In den Ortschroniken sind zwar die
Gefallenen des Zweiten Weltkriegs erwähnt, aber nicht die Existenz
des Lagers und ihre Opfer. Der Zeithistoriker Andreas Maislinger
und der Schriftsteller Ludwig Laher nahmen sich des Themas an.
Die nach langen Bemühungen im Jahr 2000 errichtete Erinnerungsstätte
befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Kläranlage
St. Pantaleon unweit der Moosach. Ludwig Laher veröffentlichte
2001 den Roman „Herzfleischentartung“, eine detaillierte Analyse
der Vorgänge in St. Pantaleon-Weyer und des gesellschaftlichen
Systems der NS-Zeit mit ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart.
(sr) |
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Andreas Maislinger: Ergänzung einer Ortschronik. „Arbeitserziehungslager“
und „Zigeunersammellager“ Weyer (Innviertel), in: Österreich
in Geschichte und Literatur mit Geographie, Wien (1988), Nr. 3/4,
S. 174-181.
Ludwig Laher: Ein Mahnmal für NS-Opfer in St. Pantaleon – Das
Arbeits- und Zigeuneranhaltelager St. Pantaleon-Weyer. Ergänzung
einer Ortschronik, in: Betrifft Widerstand, Verein Widerstandsmuseum
Ebensee (2000), Nr. 52, S. 11–13.
Ludwig Laher: Herzfleischentartung. Innsbruck 2001.
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