59. OBERSALZBERG

KOMMANDOZENTRALE DES GLOBALISIERTEN VERBRECHENS
In die von Touristikern weltweit verbreiteten Klischees der Region Salzburg passt nicht, dass sich wenige Kilometer von der barocken Kulturstadt entfernt Hitlers globale Machtzentrale befand. Die geopolitische Bedeutung des Obersalzberges bei Berchtesgaden im Zweiten Weltkrieg wird in den meisten Reiseführern verschwiegen oder nicht näher erläutert.
Im August 1939 erlebte Hitlers Entourage auf dem Obersalzberg einen bizarren Freudentaumel des Diktators, der sich schon in der Endphase seiner Kriegsplanung befand. Hitler hatte über Kurzwellenfunk von seinem Außenminister Ribbentrop aus Moskau erfahren, dass Stalin sein Angebot zum sogenannten „Nichtangriffspakt“ mit der Sowjetunion angenommen habe. Nun hatte Hitler freie Hand. Schon am 1. September marschierten deutsche Truppen in Polen ein, was durch den absehbaren Widerstand Großbritanniens und Frankreichs den Zweiten Weltkrieg auslöste. Ungeachtet der „Freundschaft“ mit Stalin überfiel Hitler im Juni 1941 auch die Sowjetunion und brach hinter den Fronten den größten Massenmord der Weltgeschichte vom Zaun, dem nach britischen Schätzungen allein 18 Millionen russische Zivilisten zum Opfer fielen. Insgesamt verzeichnete die Sowjetunion 26 Millionen Kriegstote bis 1945.

Am 19. November 1942, als Hitlers 6. Armee unter General Paulus bei Stalingrad von sowjetischen Verteidigern eingekesselt wurde, befand sich Hitler wie so oft nicht in Berlin. Als die Nachricht eintraf, schlief er sich auf dem Obersalzberg nach einer seiner langen Nächte an den Landkarten aus. Als man ihn geweckt hatte, bekam er einen Tobsuchtsanfall auf der Terrasse seines Anwesens. Am 22. November reiste er in seinem Sonderzug von Berchtesgaden nach Leipzig, und von dort weiter in die „Wolfsschanze“ nach Polen. Hitler schob die Schuld an Stalingrad seinen Generälen zu, ahnte aber längst, dass diese Niederlage das deutsche Kriegsglück generell beenden würde. Dennoch oder gerade deswegen verbot er Zehntausenden deutschen und österreichern Soldaten seiner 6. Armee den Gang in die Gefangenschaft. Durch militärisch sinnlose Befehle hetzte er sie bei Stalingrad in den sicheren Tod, eine Tragödie, der bis zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus noch viele folgen sollten.

Kurz vor Kriegsende saß Hitler noch lebend in seinem Berliner „Führerbunker“, als britische Lancaster-Bomber am 25. April 1945 den Obersalzberg mit 1300 Bomben angriffen und das nahe Berchtesgaden verschonten. Dabei wurde neben der SS-Kaserne sein Berghof so schwer beschädigt, dass er später abgerissen werden musste. Hitler hatte das ursprünglich kleine Haus 1933 aus den Tantiemen für sein Buch „Mein Kampf“ gekauft. Früher hatte es „Haus Wachenfeld“ geheißen und der Witwe eines Lederwarenfabrikanten aus Buxtehude gehört, die sich hier oft zur Sommerfrische aufhielt. 1928 hatte sich Hitler hier erstmals eingemietet.

Komplizen siedeln sich an, Drohungen gegen Einheimische
Nachdem sich Hitler 1933 auf dem Obersalzberg niedergelassen hatte, strömten immer mehr seiner Anhänger in die Region. Von Einheimischen wurden sie als „Wallfahrer“ verspottet. Wenig später ließ Hitler seinen Berghof großzügig ausbauen. Um das repräsentative Anwesen gruppierten sich Häuser von Martin Bormann, Hermann Göring und Albert Speer sowie ein Gästehaus, die Kaserne der SS-Bewachungsmannschaft, ein Gutshof mit Gewächshaus, ein Pferdegestüt und unterirdische Bunker.

Dass die Größen des Regimes hier residierten, ging auf Kosten der lokalen Bevölkerung. Zuerst hatte man den Bewohnern für Grundstücke und Häuser noch Preise über dem Marktwert angeboten. Als sich viele weigerten, kam die Mühle der Gewalt schnell in Gang. Nach massiven Drohungen verkauften die meisten oder wurden enteignet; insgesamt 57 Grundbesitzer. Der Fotograf Hans Brandner weigerte sich und protestierte bei Hitler. Einen Tag später deportierte ihn die Gestapo ins Konzentrationslager Dachau. Nach zwei Jahren Haft, die er nur knapp überstand, wurde er auf Bitten seiner Verwandtschaft entlassen und als Soldat an die Front geschickt. Brandner fiel in der Sowjetunion.

Hitler verbrachte mehrere Monate im Jahr durchgehend auf dem Obersalzberg und führte die Regierungsgeschäfte. Hier empfing er – wie im Salzburger Schloss Kleßheim – zahlreiche Politiker und Regierungschefs: David Lloyd George, Marqués de Magaz, Arthur Neville Chamberlain, André François-Poncet, Carol II. von Rumänien, Ante Pavelic und Kurt Schuschnigg. Seine Geliebte Eva Braun, inoffizielle „Hausherrin“ auf dem Obersalzberg, lud oft ihre Verwandten und Freunde auf den „Berg“ ein, wenn sich Hitler in Berlin, München oder im militärischen Hauptquartier „Wolfsschanze“ in Polen aufhielt.

Auf Anregung von Hitlers Sekretär Martin Bormann finanzierte die NSDAP zu Hitlers 50. Geburtstag ein besonderes Geschenk. Auf dem Kehlstein über dem Obersalzberg wurde das bis heute intakte Kehlsteinhaus gebaut („Hitlers Teehaus“, „Eagle’s Nest“), das nicht nur wegen seiner grandiosen Aussicht mittlerweile jährlich von mehr als 500.000 Besuchern frequentiert wird. Beim Bau in den 1930er-Jahren wurden keine Zwangsarbeiter, sondern Fachkräfte aus Deutschland und Italien angeheuert, für die man in der Abgeschiedenheit der Berge sogar ein eigenes Bordell einrichtete. Sie sollten nicht mit Einheimischen in Kontakt kommen und nichts ausplaudern. Hitler selbst hielt sich als gebürtiger Innviertler nur selten beim Kehlsteinhaus auf, weil er die ausgesetzte Lage im Hochgebirge nicht mochte und auch Anschläge fürchtete.

Erholungszentrum der US-Armee
Nach der Befreiung der Region durch die US-Armee und einige Soldaten Frankreichs gingen 1947 große Teile des Obersalzberges ins Eigentum des Staates Bayern über. Die früheren Besitzer erhielten ihre Gründe mehrheitlich nicht zurück. Die USA behielten weiter Nutzungsrechte und errichteten in den ehemaligen Wirtschaftsgebäuden von NSDAP und SS ein Erholungs- und Wintersport-Zentrum für ihre in Deutschland stationierten Soldaten samt deren Familien. Hier konnten auch Einheimische und Familien, Schüler und Studenten aus dem nahen Salzburg günstig die Skilifte benutzen. Der frühere „Platterhof“ mutierte bei den Amerikanern zum „Hotel General Walker“. In der ehemaligen Offiziersmesse der SS befand sich eine Rock-, Jazz- und Blues-Bar. Unter Präsident Bill Clinton wurde im Jahr 2000 das Erholungszentrum der US-Armee aufgelöst, sehr zum Missfallen vieler junger Leute in der Region.

Der Freistaat Bayern genehmigte wenig später den Bau eines neuen Luxushotels, und 2005 eröffnete das „Interconti Resort Berchtesgaden“, das heute das Landschaftsbild des Obersalzberges dominiert. Opfer des nationalsozialistischen Regimes protestierten gegen die ihrer Ansicht nach geschichtlose und zu kommerzielle Nutzung des Areals.

Zeithistorische Schau
Tröstend ist für manche die Tatsache, dass 1999 ein Ausstellungszentrum über die Geschichte des Ortes eröffnet wurde. Die „Dokumentation Obersalzberg“ steht auf den Grundmauern von Hitlers Gästehaus nicht weit vom neuen Luxushotel. Betreiber ist das „Institut für Zeitgeschichte“ in München. Die Schau zeigt Details aus der Alltags- und Regionalgeschichte während und nach der NS-Zeit, aber auch über Planung und geopolitische Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges. Hier werden die Rollen Berchtesgadens und der Region Salzburg als organisatorische Zentren eines Verbrechens, das weite Teile der Menschheit betraf und betrifft, nicht ausgespart. (gl)

LITERATURTIPPS:

Maik Kopleck: PastFinder Obersalzberg 1933–1945. Ortsführer zu den Spuren der Vergangenheit. Berlin 2005.


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