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Nur 25 Kilometer westlich von Salzburg gibt es eine
Gedenkstätte, die bei den meisten Österreichern und
bei Millionen Besuchern der Festspielstadt Salzburg bis
heute kaum bekannt ist. Bei Surberg unweit der bayerischen
Kreisstadt Traunstein liegen 61 KZ-Häftlinge in
einem Massengrab. Die Wehrlosen und Geschwächten
wurden am 3. Mai 1945 – zwei Tage vor Ankunft der
amerikanischen Befreier – auf einem Todesmarsch von
SS-Männern erschossen. Die Täter wurden nie gefasst. |
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Seit Jahren gehören Bayern und die Region Salzburg schon zur
EU, doch die „Mauern“ in den Köpfen der österreichischen und
deutschen Nachbarn stehen noch immer. Das gilt auch für dieses
Massaker der SS bei Surtal, einem Ortsteil von Surberg (Bayern) in
der Nähe von Traunstein. In Österreich fehlen Erinnerungskultur und
Schulunterricht dazu bis heute, obwohl es sich um den größten
NS-Massenmord in direkter Umgebung der Landeshauptstadt Salzburg
handelt. Die Opfer sind namentlich nicht bekannt. Die Häftlinge
kamen aus dem KZ Buchenwald und anderen Lagern. In den Tagen
vor ihrer Ermordung befanden sie sich, ausgehend vom bayerischen
KZ Flossenbürg, auf einem jener Todesmärsche, mit denen die SS in
den letzten Kriegstagen versuchte, ihre Gräueltaten zu vertuschen.
Am 2. Mai hatten die Häftlinge die oberbayerische Stadt Trostberg
erreicht. Noch am Abend wurden sie wie Vieh nach Südosten bis
Traunstein weitergetrieben. Am folgenden Tag erschoss sie die
Wachmannschaft der SS an einem Waldrand bei Surberg, warf die
Waffen weg und flüchtete – weil erste Stoßtrupps der 3. US-Armee
schon in der Region waren. Geräusche von Panzerketten seien von
der Autobahn München–Salzburg bereits zu hören gewesen, berichteten
Zeitzeugen. Die US-Armee hatte am 11. und 12. April 1945
die im KZ Buchenwald überlebenden Häftlinge befreit – fast einen
Monat zuvor. Dann folgte das KZ Dachau.
Gedenkrednerin der „Weißen Rose“
Am 3. Mai 2003, zum 58. Jahrestag des Massakers, kam die hochbetagte
Marie-Luise Schultze-Jahn als Gedenkrednerin nach Surberg.
Sie war 1943 in der Münchner Widerstandsgruppe „Die Weiße
Rose“, zu der auch die von den Nazis hingerichteten Geschwister
Scholl gehörten. Hans Leipelt, der Verlobte von Schultze-Jahn, die
wegen ihres Widerstandes gegen das NS-Regime zu zwölf Jahren
Zuchthaus verurteilt wurde, starb wie die Geschwister Scholl unter
dem Fallbeil in Berlin-Plötzensee.
Mehr als 100 Menschen nahmen 2003 an der Gedenkfeier für
die ermordeten KZ-Häftlinge von Surberg teil, darunter auch regionale
und lokale Politiker. Zitiert wurde aus einem zeitgenössischen
Flugblatt der „Weißen Rose“. Sinnlos und verantwortungslos habe
Hitler 300.000 deutsche Soldaten bei Stalingrad untergehen lassen:
„Wollen wir den niedrigen Machtinstinkten einer Parteiclique
den Rest der deutschen Jugend opfern? Studentinnen, Studenten!
Auf uns sieht das deutsche Volk. Von uns erwartet es die Brechung
des nationalsozialistischen Terrors durch die Macht des Geistes.“
Marie-Luise Schultze-Jahn wies darauf hin, dass jederzeit wieder
geschehen könne, was damals geschah – wenn man nicht wachsam
sei. Friedbert Mühldorfer von der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes organisiert in Surberg die jährlichen Gedenkfeiern.
Er betonte 2003, die Ermordung der 61 KZ-Häftlinge sei in den
Nachkriegsjahren in Vergessenheit geraten – unter den Augen
der bayerischen Politik. Seit den 1980er-Jahren werde den Opfern
wieder jährlich gedacht.
Im Mai 2004 war Hugo Höllenreiner der Gedenkredner. Sein
Großvater hatte 1933 eine Frau aus dem Volk der Sinti geheiratet.
Höllenreiner war deshalb als Kind im KZ Bergen-Belsen und
erlebte die Ermordung vieler Angehöriger der Volksgruppe seiner
Großmutter mit – von Rassisten und Ahnungslosen als „Zigeuner“
bezeichnet: „Wir mussten große Gruben ausheben, die Leichen da
hineinschichten und mit ungelöschtem Kalk bedecken.“ Bis heute
sind Höllenreiners Beine mit den Narben von Wunden übersät, die
ihm der Kalk als Kind in die Haut brannte.
Die Mörder der 61 von Surberg wurden nie gefasst. Wir haben
in der Literatur auch keine Hinweise gefunden, dass die Behörden
Bayerns, Deutschlands oder Österreichs je nach Verdächtigen
gefahndet hätten. (gl) |
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Salec Beldengrün, Hans Mayer: Erinnerungen 45, in: Das Jahresheft.
Verein für Heimatpflege und Kultur Waginger See, Heft 19, Waging
2007, S. 65–96. |
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