8. FESTSPIELHAUS, SCHLOSS LEOPOLDSKRON:
KRIEG DER KULTUR(EN)
Die Aufführung des „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal am 22. August 1920 auf dem Domplatz gilt als Geburtsstunde der Salzburger Festspiele. Regie führte Max Reinhardt, der im spätbarocken Schloss Leopoldskron internationale Stars empfing und rauschende Feste feierte, aber zunehmend antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war. Die Nazis vertrieben Reinhardt und andere Festspielkünstler, Goebbels erklärte die Festspiele zur „Reichssache“. Auch die Auswirkungen des Kalten Kriegs waren in Salzburg zu spüren. Landeshauptmann Josef Klaus verweigerte die Aufnahme des Kommunisten Bert Brecht in das Festspielgremium.
1918 verliehen Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal den seit Jahren bestehenden Plänen der Gründung einer Festspielhaus- Gemeinde den entscheidenden Schwung. Die Festspiele verstanden sie im katholisch-barocken Kunstverständnis Reinhardts als Projekt der „Antimoderne“. Sie sollten zum Inbegriff österreichischer Kultur werden, da nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie die österreichische Identität auf schwachen Beinen stand. Die Salzburger Bevölkerung lehnte die Festspielidee allerdings ab und war – in einer Zeit, in der Salzburg kulturell, wirtschaftlich und politisch in der Bedeutungslosigkeit versank – nur schwer vom künstlerischen und wirtschaftlichen Nutzen zu überzeugen. Dazu kamen antisemitische Ressentiments gegenüber Hofmannsthal, Reinhardt und Schauspielern wie Alexander Moissi (der allerdings kein Jude war). Dass Reinhardt als
feudaler Schlossherr auftrat, erhitzte die Gemüter. „Sie hassen ihn“, schrieb Hofmannsthal, „als Juden, als Schlossherrn, als Künstler und einsamen scheuen Menschen, den sie nicht begreifen.“ In der Zeit wirtschaftlicher Not Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre setzte sich Landeshauptmann Franz Rehrl gegen den Widerstand der Bevölkerung für den Erhalt der Festspiele ein. Er trat entschieden gegen den Antisemitismus der Salzburger auf, verlieh Reinhardt demonstrativ das Große Verdienstkreuz und benannte einen Platz nach ihm. Auch der Bundeskanzler zeigte sich großzügig und tilgte Reinhardts Steuerschulden.

Mittlerweile waren die Festspiele internationaler Treffpunkt für Künstler und Kulturbegeisterte geworden, die ehemalige Hofstallkaserne und die fürsterzbischöfliche Felsenreitschule dienten als Spielstätten. Wenige Wochen nach Hitlers Machtergreifung 1933 in Deutschland waren die Stützen des Festivals, Reinhardt und Bruno Walter, dort nicht mehr erwünscht. 1934 (und nochmals 1937) beschädigten Bomben der illegalen Nationalsozialisten die Eingangshalle des Festspielhauses und die des Schlosses Leopoldskron, in der NS-Presse die „Tummelstätte Judas“. Hitler griff Reinhardt als „internationalen herumzigeunernden Theaterjuden“ frontal an. Die NSDAP sabotierte das Festival und untersagte deutschen Künstlern, in Österreich aufzutreten. Die 1933 verhängte 1000-Mark-Sperre schädigte die Festspiele wirtschaftlich, da es kaum mehr deutsche Besucher gab. Die Austrofaschisten versuchten, die Salzburger Festspiele als österreichische Kulturinstitution im Kampf gegen die Nationalsozialisten zu instrumentalisieren. 1937 wurde Salzburg mit vielen britischen und amerikanischen Besuchern zum letzten Mal zum Ort des Protests gegen Hitler und das „arische“ Bayreuth.

1937 verließ Reinhardt mit seiner Frau Helene Thimig Leopoldskron für Projekte in New York – nicht wissend, dass es ein Abschied für immer war. Nach der Machtergreifung in Österreich kannten die Nationalsozialisten kein Pardon. Am 16. April 1938 zog die Gestapo Reinhardts Besitztümer ein – vorerst ohne rechtliche Grundlage, die erst Monate später mit der „Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens“ (schein-) legalisiert wurde. Gauleiter Friedrich Rainer verbannte Künstler wie Lotte Lehmann und Bruno Walter und holte NS-Künstler wie Clemens Krauss, Wilhelm Furtwängler und Karl Böhm nach Salzburg. Der italienische Dirigent Arturo Toscanini, ein entschiedener NS-Gegner, verzichtete auf die weitere Teilnahme an den Festspielen. Der „jüdische“ „Jedermann“ wurde vom „arischen“ „Egmont“ abgelöst. Auch das Festspielhaus sollte „gesäubert“ werden, Reichsbühnenbildner Benno von Arent ließ die Fresken des Malers Anton Faistauer abnehmen, alle Erinnerungen an die früheren Künstler vernichten, das Innendesign samt Hakenkreuz, Reichsadler und „Führerbüste“ der NS-Ästhetik anpassen und eine „Führerloge“ errichten. Furtwängler dirigierte im Festspielsommer 1938 Wagners „Meistersinger“, Joseph Goebbels hielt die Festrede und betonte die Bedeutung Salzburgs als Spielstätte neben Bayreuth. Am 4. September 1938 eröffnete Gauleiter Rainer im Festspielhaus die Propagandaausstellung „Entartete Kunst“, die rund 40.000 Interessierte besuchten.

Eine Marionette Hitlers, die (jüdischstämmige) Prinzessin Stephanie von Hohenlohe (Hitler nannte sie seine „liebe Prinzessin“), führte auf Wunsch Görings das Schloss Leopoldskron 1938 bis 1939 als Gästehaus für Künstler und Mittelpunkt der „entjudeten“ Festspiele fort. Prinzessin Stephanie kam aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und nobilitierte durch Heirat. Politische Intrigen und ihre Vermittlerrolle zum britischen Zeitungsmagnaten und Hitler-Fan Lord Harold Rothermere machten sie für Hitler bedeutsam. Eine Affäre mit dem verheirateten Adjutanten Hitlers, Fritz Wiedemann, bereitete ihrer „Karriere“ aber ein rasches Ende. In den USA wurde sie als deutsche Spionin interniert. Hitler bezeichnete Hohenlohe fortan nur mehr als „das Scheusal“. Anfang 1940 ging Leopoldskron in den Besitz des Reichsgaues Salzburg über, Gauleiter Friedrich Rainer zog selbst dort ein. Auch Clemens Krauss, Dirigent und Goebbels’ Vertrauter, wohnte zeitweise im Schloss. Der Krieg hatte allerdings die NS-Kulturidylle unterbrochen, viele internationale Gäste blieben aus, dafür kamen zunehmend Wehrmachtssoldaten auf Erholungsurlaub, BdM, HJ und KdF-Teilnehmer. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 sagte der Propagandaminister die Festspiele ab, er ließ nur eine Generalprobe der Strauss-Oper „Die Liebe der Danae“ zu. Im „totalen Krieg“ war an Festspielglanz nicht mehr zu denken, Wilhelm Furtwängler, der als Leiter der Wiener Philharmoniker alljährlich in Salzburg dirigierte, setzte sich vor dem Zusammenbruch des Dritten Reichs in die Schweiz ab.

General Clark, Befehlshaber der US Army, eröffnete im August 1945 die ersten freien Festspiele nach der Zeit von Austrofaschismus und Nationalsozialismus. 1946 waren die führenden NS-Künstler Böhm, Kraus, Furtwängler und Karajan noch mit Auftrittsverbot belegt, doch Karajan wirkte bereits im Hintergrund bei den Festspielen mit, obwohl er als besonders Eifriger gleich zweimal der NSDAP beigetreten war. In Schloss Leopoldskron zog 1947 das „Salzburg Seminar (in American Civilization)“, eine Initiative von Harvard-Studenten, ein. Das Haus wurde an Reinhardts Witwe Helene Thimig (Reinhardt war 1943 in New York gestorben) und an die Söhne Gottfried und Wolfgang restituiert. Die Festspielverantwortlichen hefteten sich die Namen Reinhardt und Hofmannsthal wieder auf ihre Fahnen. Helene Thimig kehrte aus der Emigration zurück und arbeitete am Remake mit. Doch sie hatten die Rechnung ohne den Komponisten Gottfried von Einem gemacht, der an eine Modernisierung des „Jedermann“ und an Bert Brecht als Dramaturgen dachte. Der staatenlose Brecht hatte 1950 die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten und wollte Einems Angebot annehmen. Der Salzburger Landeshauptmann (und spätere Kanzler) Josef Klaus verweigerte die Bestellung Brechts und kippte Einem aus dem Festspiel-Direktorium. Somit konnte alles beim Alten bleiben. Große Politik und Kalter Krieg auch bei den Salzburger Festspielen – erst Gerard Mortier beendete, als Nachfolger von Karajan, in den 1990er-Jahren die Ära der Restauration. (sr/cs)

Literaturtipp:
Andres Müry (Hg.): Kleine Salzburger Festspielgeschichte. Salzburg 2002.

Michael Steinberg: Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele 1890–1938. Salzburg 2000.

Gert Kerschbaumer: Faszination Drittes Reich – Kunst und Alltag der Kulturmetropole Salzburg. Salzburg 1988.

Johannes Hofinger: Die Akte Leopoldskron. Max Reinhardt. Das Schloss. Arisierung und Restitution. Salzburg, München 2005.

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