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Die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der
Wehrmacht 1941–1944“ des Hamburger Instituts für
Sozialforschung provozierte in Deutschland und Österreich
zwischen 1995 und 2004 heftige Diskussionen. Das
ehemalige Stadtkino in Salzburg wurde im Frühjahr
1998 zum umkämpften Ort der Erinnerung. Nirgendwo
gingen die Wogen in Österreich so hoch wie hier. Die
Kontroversen reichten weit über den Ausstellungsinhalt
hinaus und zeigten, wie sehr die NS-Vergangenheit die
Gegenwart beeinflusst. |
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Lange vor der „Wehrmachtssaustellung“ sorgte ein sechs Meter
hohes Holzpferd des Bildhauers Alfred Hrdlicka während der
Salzburger Festspiele 1986 auf dem Mozartplatz für Aufregung –
da es an den Ausspruch von Fred Sinowatz gemahnte, nicht der
spätere Bundespräsident, sondern nur sein „Pferd sei bei der SA
gewesen“. Obwohl eine internationale Historikerkommission feststellte,
dass Kurt Waldheim von Deportationen und Erschießungen
durch seinen Stab Löhr in Thessaloniki 1941 gewusst haben
musste, sahen es „aufrechte“ Salzburger Bürger als ihre „Pflicht“
an, Protestierenden Spruchbänder und Transparente zu entreißen
und zu zertreten. Auch vor der Eröffnung der „Wehrmachtsausstellung“
am 6. März 1998 setzte ein erbitterter Kampf um Erinnerung
und „Wahrheit“ ein. Die Ausstellung zerstörte den Mythos der
sauberen Wehrmacht und vermittelte seit Jahrzehnten bekannte
und unbestrittene historische Fakten anhand des Partisanenkriegs
in Serbien, des Weges der 6. Armee nach Stalingrad und der dreijährigen
Besatzung Weißrusslands durch deutsche Truppen. Die
von Gegnern der Ausstellung vorgebrachten Anschuldigungen, die
Dokumente wären gefälscht, wurden 2000 von einer eigens eingesetzten
Historikerkommission zurückgewiesen. Von den 1433 Fotos
waren lediglich 20 Fotos falsch zugeordnet und betrafen nicht die
Wehrmacht, was allerdings die Grundaussage und den Inhalt der
Ausstellung keineswegs berührte.
An der Spitze der Gegner in Salzburg standen Landeshauptmann
Franz Schausberger, die ÖVP, die FPÖ und der Kameradschaftsbund,
mediale Unterstützung von der „Kronen-Zeitung“ war ihnen
sicher. Als der „Verein Erinnern!“, der sich aus Historikern der
Universität Salzburg, Mitgliedern von SPÖ und Bürgerliste (Grünen)
zusammensetzte und die Ausstellungsorganisation übernahm,
dem Kameradschaftsbund einen Dialog anbot, reagierte dieser
heftig. Sie würden sich nicht provozieren lassen, ließen die Kameradschaftsbündler
ausrichten und gründeten mit ÖVP-Vertretern
den „Arbeitskreis für Kultur und objektive Geschichtsforschung“.
Verdrängen und Verschweigen von NS-Vergangenheit hat in
Salzburg Tradition, der ehemalige „Mustergau“ zeigte nach 1945
wenig Einsicht zur gesellschaftlichen Mitverantwortung, sondern
verstand Geschichte als Möglichkeit zur folkloristisch-touristischen
Inszenierung. Zwang und Einberufung in die Wehrmacht wurden
mit Pflicht und Kameradschaft verwechselt, der Kampf für ein
verbrecherisches NS-Regime zum Heldentod für die Heimat umgedeutet.
Ehemalige Soldaten diffamierten Widerstandskämpfer und
Deserteure als „Vaterlandsverräter“ und „Kameradenschweine“.
Auch der als „Pornojäger“ bekannte Martin Humer leistete den
Ausstellungsgegnern Schützenhilfe und demonstrierte mit seinen
Gesinnungsgenossen der „Christlich-Sozialen Arbeitsgemeinschaft“
am Eröffnungstag vor dem Stadtkino, verteilte Flugblätter
und protestierte gegen die „Volksverhetzung“. Er meinte damit
die „Wehrmachtsausstellung“ und nicht die im alten Rathaus unter
Ehrenschutz des ÖVP-Bürgermeisters Josef Dechant präsentierte
Ausstellung „Die im Dunkeln sieht man nicht. Kriegsgefangenschaft
in Russland 1945–1953“ des Malers Walther Groß. Dieser
war nicht nur Künstler, sondern auch ehemaliger Angehöriger
der 1. SS-Panzerdivision (Leibstandarte Adolf Hitler). Der damalige
Landtagspräsident Helmut Schreiner (ÖVP) verteidigte Groß mit
den Worten: „Im Krieg leiden alle.“
Am 11. März, wenige Tage nach der Eröffnung, eskalierten die
Spannungen, Unbekannte zerkratzten Stellwände und rissen Fotos
herunter. Im Gästebuch fand sich folgende mit SS-Runen unterzeichnete
Eintragung: „Schöne Grüße von den Salzburger Skins,
ihr roten Dreckschweine. Mit kameradschaftlichen Grüßen.“ Befürworter
der Ausstellung forderten die Organisatoren auf, sich von
den Aktionen der Gegner nicht einschüchtern zu lassen und weiterzuarbeiten.
Das taten sie – mit Erfolg. Letztendlich besuchten mehr
als 20.000 Interessierte die Ausstellung in Salzburg, das bedeutete
Österreichrekord. Auf die im Gästebuch formulierte Frage eines
Besuchers „Ist es wirklich schon vorbei?“ antwortete ein anderer:
„Reaktionen u. a. aus Politik und Medien zeigen, dass auch nach
über 50 Jahren der Krieg noch nicht vorbei ist.“ (sr) |
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Helga Embacher, Albert Lichtblau, Günther Sandner (Hg.): Umkämpfte
Erinnerung. Die Wehrmachtsausstellung in Salzburg. Salzburg, Wien
1999.
Stiftung Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Verbrechen der
Wehrmacht – Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944. Ausstellungskatalog.
Hamburg 2002. |
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