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Gefeierte Künstler des Dritten Reiches beriefen sich
nach dem Krieg darauf, unter Zwang gehandelt und
propagandistischen Stoffen zumindest ein „künstlerisches
Moment“ abgerungen zu haben. Dies gilt aber
nicht für den Film „Jud Süß“, der die Nazischlächter in
den Ghettos und KZs in Mordlust versetzte. Demonstrationen
jüdischer „Displaced Persons“ gegen die
Vorführung des ersten Nachkriegsfilms des „Jud Süß“-
Regisseurs Veit Harlan vor dem Salzburger Elmo-Kino
wurden von der Polizei 1951 blutig niedergeschlagen. |
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Weder Regisseur Veit Harlan, der sich in seiner Biografie
„Im Schatten meiner Filme“ (1966) als ein unter Zwang
Handelnder beschreibt, der Schlimmstes verhütet habe, noch
dessen Frau, NS-„Reichswasserleiche“ Kristina Söderbaum, können
sich von diesem furchtbarsten aller Filme, der immer noch verboten
und in Giftschränken weggesperrt ist, reinwaschen. „Nur Gott
allein mag wissen, wie viel Schuld wir alle auf uns geladen haben“,
schreibt Söderbaum, die in dem Film die weibliche Hauptrolle
spielt.
Schmerzhaft muss das Erwachen, eiskalt der Kuss der Muse
gewesen sein, als die gagenverwöhnten, gefeierten Nazi-Filmstars
mit Drehbüchern konfrontiert wurden, aus denen Hass und
Vernichtung troff. Wo war das Gewissen, als Jahre vorher reihum
jüdische Kollegen verschwanden, keine ausländischen Filme mehr
konkurrenzierten, internationale Filmpreise nur mehr von besetzten
Ländern und dem faschistischen Bruderstaat Italien verliehen
wurden? Gerade bei den Filmstars des Dritten Reiches war die
Verblendung grenzenlos.
Der Film „Jud Süß“, der Stereotype festigen und die „Rassengesetze“
rechtfertigen sollte, ist eines der übelsten Machwerke
der Filmgeschichte, „politische Pornografie“. Der Stoff geht
auf den historischen Bankier Süß-Oppenheimer zurück, der die
Verschwendungssucht des Herzogs von Württemberg mit immer
neuen Steuern finanzierte, bis ihn die ausgebeutete Bevölkerung
1737 lynchte. Goebbels schrieb – in Verdrehung des Romans des
jüdischen Autors Lion Feuchtwanger – die Rolle einer vom Juden
vergewaltigten Christin (Söderbaum) hinein, die deshalb ins Wasser
geht.
Auf Himmlers Befehl sollte die gesamte SS und Polizei im
Winter 1940 den Film sehen. Nach den Vorführungen ging der
SS das Mordhandwerk besonders gut von der Hand, wie Berichte
belegen. Am 19. November 1940 zog nach der Vorführung eine
aufgebrachte Menge durch das Zentrum von Berlin und forderte
in Sprechchören: „Verjagt die Juden vom Kurfürstendamm – Juden
raus aus Deutschland“. Goebbels’ Propaganda zeigte auf dem
Filmplakat das Gesicht des Juden grün mit gelben Augen, darunter
stand: „Runter mit den Pfoten, Jude, von einer deutschen Frau“.
Die Entmenschlichung war vollzogen. Kurz danach begann die
„Endlösung“ mit voller Kraft.
1951 protestierten zahlreiche jüdische „Displaced Persons“, wie
die Flüchtlinge auch in Salzburg genannt wurden, vor dem Elmo-
Kino mit Transparenten wie „Nieder mit Nazi-Regisseur Harlan“. In
ganz Deutschland war es bereits zu Protesten gegen „Unsterbliche
Geliebte“, den ersten Nachkriegsfilm Veit Harlans, gekommen. Es
ging bei den Protesten nicht um den Film, sondern darum, dass
Harlan nicht verurteilt worden war (er war in drei Entnazifizierungsprozessen
freigesprochen worden) und wieder drehen durfte.
In Salzburg blieb es nicht bei Protestrufen, im ausverkauften
Kino gingen Bombendrohungen ein, in der Vorführung fiel der
Strom aus, und beim Landeshauptmann sprachen Delegationen
von Opferverbänden vor. Einen Tag später sausten Polizeiknüppel
auf die Köpfe von Gegnern nieder, als sie vor dem Kino mit einer
Gruppe von Nationalsozialisten zusammenprallten. Mehrere
Demonstranten wurden verletzt, einer erlitt einen Armbruch. Die
jüdischen Protestierer, angeführt von Simon Wiesenthal, flüchteten
vor dem Mob in das Haus der Kultusgemeinde in der Mertensstraße,
wo sich rasch eine judenfeindliche Versammlung bildete,
die von der Polizei abgedrängt wurde.
Nach dreitägigen Demonstrationen wurde der Film schließlich
vom (jüdischen) Besitzer des Kinos abgesetzt. In der Presse spielte
sich ein unschönes ideologisches Gefecht zwischen den Konkurrenten
„Demokratisches Volksblatt“ und „Salzburger Nachrichten“
ab. Die Berichterstattung über die Behandlung jüdischer Demonstranten
ging über Nachrichtendienste nach Großbritannien,
Frankreich und in die USA und zeigte Bilder von blutüberströmten
jüdischen Männern und Frauen. Salzburg hatte diesen Test in
Demokratie nicht bestanden. (cs) |
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Anne von der Heiden: Der Jude als Medium: „Jud Süß“. Zürich, Berlin
2005. |
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