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Wie schwierig es ist, funktionierende Orte der Erinnerung
zu schaffen, zeigt das Schicksal des sogenannten „Antifaschismus-Mahnmals“ vor dem Hauptbahnhof in
Salzburg. Ob dieses der Erinnerung an die Opfer der
Nazis dient oder nicht, mögen Besucher selbst entscheiden.
Als Toilette für Taubenschwärme und Regenschutz
für Obdachlose bewähre sich das betonierte „dreibeinige
Autobus-Wartehäusl“ (Volksmund), sagen Kritiker. |
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Das aus rein künstlerischer Sicht gut argumentierbare Konzept
dieses „Mahnmals“ erscheint im alltagskulturellen Umfeld
vor dem Salzburger Hauptbahnhof als fragwürdig, wenn nicht
gar nutzlos oder kontraproduktiv. Bei der Einweihung 2002 gab
es noch großes Medieninteresse und Sonntagsreden von Politikern.
Mittlerweile sind die meisten der damals noch zuhörenden
Zeitzeugen und Opfer des Nationalsozialismus im hohen Alter
verstorben. Und nun zeigt sich, dass die Funktion dieses leblosen
„Mahnmals“ schon nach wenigen Jahren erlahmt. 300 Entwürfe
aus mehreren Erdteilen waren bei einem von der Stadtpolitik initiierten
Wettbewerb (2001) eingereicht worden. Die Jury wählte aus
88 Finalisten das realisierte Projekt aus.
Lautere Motive, die hinter dem siegreichen, dreibeinigen Unterstand
aus Beton von Heimo Zobernig (Wien) stehen, sollen hier
nicht bezweifelt werden. Das Projekt ist offenbar bewusst als eine
Art Wartehäuschen konzipiert. Die Dachplatte wird von nur drei
Pfeilern getragen. Der fehlende vierte soll Betrachter irritieren und
zugleich jene Opfer symbolisieren, die vom Nationalsozialismus
aus der Gesellschaft heraus ermordet wurden. Was diese Lösung
im Alltag unbrauchbar und praktisch rätselhaft macht, ist der in
die Unterseite der Dachplatte eingravierte Erinnerungstext für die
Opfer. Wer ihn lesen will, muss in den Unterstand hineingehen und
sich den Hals verrenken.
Beobachtungen zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten
haben gezeigt: Es liest diesen Text so gut wie niemand, der/die
nicht thematisch mit dem „Mahnmal“ vertraut ist, nicht von Eingeweihten
hierhergeführt wurde oder sich nicht zuvor eingelesen
hat. Ein kunst- oder geschichtspädagogisches Konzept der Stadt
Salzburg oder ihrer offiziellen Museen für den Ort existiert nicht.
Nur der Historiker Gert Kerschbaumer, international bekannter
Biograf von Stefan Zweig, organisiert gelegentlich Führungen
– auf ehrenamtlicher Basis. Ahnungslose Passanten sind uninteressiert
bis gleichgültig, was angesichts von Design und Form nicht
verwundert. Kaum jemand nimmt den grauen Bau im Alltag wahr,
obwohl täglich Zehntausende Pendler den gegenüberliegenden
Hauptbahnhof frequentieren.
Gefördert hat das in den letzten Jahren auch die Salzburger
Stadtplanung. Sie ließ das „Mahnmal“ – bewusst oder unbewusst
– in einem sonderbaren Laubbaumwäldchen auf dem architektonisch
insgesamt gedrängten Bahnhofsvorplatz „verschwinden“.
Das erleichtert diskret eine praktische Nutzung, wenn Betrunkene,
Obdachlose und so manche Kleindealer in der Nacht ihre
Notdurft an einer drei Betonsäulen verrichten. Neben den vielen
Tauben, die hier wohnen, im Hochsommer den Schatten der Dachplatte
suchen und ihre Stoffwechselprodukte auf dem Salzburger
„Antifaschismus-Mahnmal“ abladen. Vollzieht sich an diesem
gutgemeinten Bauwerk nun ungewollt doch noch ein Wille der
Nazis? Erinnerung als Bedürfnisanstalt?
So manchen tut es in der Seele weh, wenn sie die offizielle
Broschüre „Antifaschistisches Mahnen und Gedenken in Salzburg“
zur Hand nehmen, in der die Stadt Salzburg den Wettbewerb
darstellt. Die Projekte der 88 Finalisten sind darin genau beschrieben,
mit einigen Ansätzen, die praxisnahe und künstlerisch sind – für
demokratisch-historische Reflexion und Förderung von Mitgefühl.
Moderne Medienkunst, Ansätze jüngerer Kreativer und zukunftsweisende
Kombinationen verschiedener Disziplinen hatten bei
der Auswahl offenkundig weniger Gewicht. Der Altersschnitt der
Jury war relativ hoch. Sie bestand aus Hanns Haas (Historiker der
Uni Salzburg), Gerd Müller (Leiter des städtischen Hochbauamtes),
Udo Heinrich (Architekt, Köln) und zwei Kunstexperten: Barbara
Wally (Internationale Sommerakademie, Salzburg) und Friedhelm
Mennekes (Theologe und Kunstwissenschaftler, Braunschweig).
Angesichts verunglückter „Mahnmale“ gibt es international seit
Jahren eine vielschichtige Diskussion: Wie lässt sich Erinnerungskultur
verankern? (gl) |
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