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Die jüdische Gemeinde Salzburgs erlebte seit dem
frühen Mittelalter Vertreibungen, Pogrome und Vernichtung.
Der Anteil der Juden an der Salzburger Bevölkerung
betrug nie mehr als 0,1 Prozent, dennoch wurden
sie angefeindet und ausgegrenzt. 1938 waren die Salzburger
Nazis besonders eifrig bei der Deportation,
Vertreibung und „Arisierung“. Nach 1945 bauten Überlebende
des Holocaust die Gemeinde neu auf, Präsident
Marko Feingold – von dem das Eingangszitat stammt – feierte 2008 seinen 95. Geburtstag. |
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Die Judengasse in der Altstadt erinnert an die jüdische Gemeinde
im Mittelalter, deren erste Mitglieder sich um 800 in Salzburg
ansiedelten. Im Höllbräu, mittlerweile Radisson Altstadt Hotel,
befand sich die Synagoge. Pogrome und Vertreibungen im 14. und
15. Jahrhundert kosteten Tausenden das Leben, 1498 verfügte
Erzbischof Leonhard von Keutschach die Ausweisung der letzten in
Salzburg lebenden Juden. Das Staatsgrundgesetz von 1867 zwang
die Stadt Salzburg zur Aufhebung einer Verfügung, dass Juden der
Aufenthalt von mehr als einer Stunde verboten war – Albert Pollak
durfte sich als erster Jude wieder in Salzburg niederlassen. 1901
wurde die Synagoge in der Lasserstraße eingeweiht, die Gemeinde
erwarb ein Grundstück in Aigen für die Errichtung eines Friedhofs.
Nach dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie strömten
Tausende jüdische Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina ins
Salzburgerland. Der 1921 in der Mozartstadt gegründete Antisemitenbund
griff das Thema genüsslich auf und verlangte in seiner
Zeitschrift „Eiserner Besen“ ein „Ausmisten“ des „Ungeziefers“.
Die kleine Salzburger Gemeinde zählte 1934 gerade einmal 239
Personen „jüdischen Glaubens“. Kontakte zwischen Juden und
Nicht-Juden blieben meist auf das Berufs- und Wirtschaftsleben
beschränkt. Das Schuhhaus Pasch und das Kaufhaus Schwarz am
Alten Markt waren bei den Salzburgern ebenso bekannt wie die
Erzeugnisse des Bürmooser Glasfabrikanten Ignaz Glaser. Die jüdischen
Familien in Salzburg versuchten, ein halbwegs „normales“
Leben zu führen, wenn sie auch von vielen Vergnügungen
ausgeschlossen waren. Vereine verwehrten Juden aufgrund des
„Arierparagrafen“ die Aufnahme, bei Tanzkursen oder Bällen galten
sie als unerwünscht. In Salzburger Kaffeehäusern gab es getrennte
Ecken für Juden und Nicht-Juden, nur ein sozialdemokratischer
Politiker spielte im „Bazar“ mit den Juden Karten. Dennoch überraschte
der „Anschluss“ im März 1938 die Salzburger Juden. Die
Gestapo verhaftete Dutzende Männer, ein Teil von ihnen – wie der
Rabbiner David Margules – kam nach Dachau oder Buchenwald.
Um die Kaufhäuser und Geschäfte Schwarz, Ornstein, Pasch, Gerstenfeld,
Fuchs, Kleinpreis-Sagel, die Kohlenhandlung Löwy und die
Zündholzfabrik Handler & Pfifferling in Schallmoos rangelten sich
reichsdeutsche und hiesige NS-Bonzen. In der Reichskristallnacht
gab es zwar keine Toten, aber jüdische Geschäfte, Synagoge und
Friedhof wurden schwer beschädigt und von der Gestapo beschlagnahmt.
Am 12. November 1938 verkündete Gauleiter Rainer stolz,
Salzburg sei „judenfrei“. In die „arisierten“ Wohnungen und Häuser
zogen „verdiente“ Nazis ein. Der Friedhof wurde an die vormaligen
Friedhofswärter veräußert. Diese bauten die Leichenhalle zu
Wohnhaus und Stall um, nutzten den Friedhof als Kuhweide und
verkauften Grabsteine.
Der Neubeginn der jüdischen Gemeinde 1945 gestaltete sich
schwierig. Im Mai ließen sich Überlebende des KZ Buchenwald
in Salzburg nieder, die auf dem Heimweg nach Wien hier „strandeten“.
Sie hatten ihr Quartier zunächst in den Luftschutzstollen der
Stadtberge. Unter ihnen befand sich Marko Feingold. Er übernahm
mit anderen die Betreuung der „Displaced Persons“ und half deren
illegale Flucht Richtung Palästina bzw. USA zu organisieren. Durch
die unterschiedlichen Erfahrungen während der NS-Zeit war das
Verhältnis zwischen Überlebenden und nichtjüdischen Salzburgern
gespannt, es kam immer wieder zu verbalen und tätlichen
Auseinandersetzungen, Juden wurden als „Hitlers Unvollendete“
bezeichnet. Als bei einer Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof
1946 die Trauernden sahen, wie die Kühe hier weideten, ließen
sie die Tiere frei und zündeten den Kuhstall (die umgebaute
Leichenhalle) an. Anlässlich eines Boxkampfes 1947 im Salzburger
Festspielhaus kam es zu einer Massenschlägerei, als ein Boxer den
anderen „Saujud“ nannte. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.
Nur wenige Juden blieben in Salzburg, die meisten wanderten in
die USA, nach Israel und Kanada aus.
Ein Großteil der von den Nazis „arisierten“ Besitztümer wurde
restituiert, doch meist zu schlechten Konditionen für die Überlebenden,
die auch nicht mehr in ein Land zurückkehren wollten, in
dem sie noch vor wenigen Jahren verfolgt und ihre Angehörigen
ermordet worden waren. 2001 lebten rund 80 Juden in Salzburg,
die Gemeinde ist überaltert. Viele Salzburger Juden gehen nicht in
die Synagoge, es gibt Konflikte zwischen orthodoxen und liberalen
Juden. Aber alle hoffen, dass es mehr Zuwanderer gibt und die
Gemeinde nicht „ausstirbt“. Denn das wäre ein später Triumph der
Antisemiten. (sr) |
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Birgit Kirchmayr, Albert Lichtblau (Hg.): Marko Feingold – Wer einmal
gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Wien 2000.
Helga Embacher (Hg.): Juden in Salzburg – History, Cultures, Fate.
Salzburg 2002.
Marko Feingold (Hg.): Ein ewiges Dennoch – 125 Jahre Juden in
Salzburg. Wien, Köln, Weimar 1993. |
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