22. "ZIGEUNER"-LAGER MAXGLAN

DIE OPFER UNTER RIEFENSTAHLS SCHNEIDETISCH
Leni Riefenstahl (1902–2003) war die erfolgreichste und zugleich umstrittenste Filmregisseurin Deutschlands. Für den Film „Tiefland“, den sie 1940–1942 drehte und 1954 fertigstellte, verwendete sie Komparsen aus der Volksgruppe der Roma und Sinti, unter anderem aus dem „Anhaltelager“ Maxglan. Die meisten Mitwirkenden wurden kurz darauf ermordet, nur wenige überlebten die Konzentrationslager.
Riefenstahls Filme wie „Triumph des Willens“ entsprachen in ihrer Filmsprache der faschistischen Ästhetik. Neben ihren Dokumentarfilmen arbeitete sie bereits seit 1934 an dem Stoff „Tiefland“, basierend auf Themen der Oper von Eugen d’Albert. Ein machtbesessener Großgrundbesitzer, der eine Tänzerin – gespielt von Riefenstahl selbst – an einen armen Knecht verheiratet, um sie sich weiter als Mätresse zu halten, findet in einem Messerduell seinen „gerechten“ Tod. Wegen des Krieges in Spanien wurden die Außendreharbeiten nach Bayern (Krün bei Mittenwald, oberes Isartal) verlegt. Mitte September 1940 wurden, um dem Film eine spanische Atmosphäre zu geben, 68 „Zigeuner“, Angehörige der Volksgruppe der Roma und Sinti, aus dem Lager Maxglan als Statisten (zwangs)verpflichtet.

Die Anhaltelager waren nach dem von Himmler und Heydrich beschlossenen „Festsetzungsbeschluss“ (1939) eingerichtet worden, um die wandernden Roma und Sinti zu konzentrieren und später nach Polen zu überführen. 1940 wurden auf Befehl des Salzburger SS-Sturmbannführers Anton Böhmer 270 Roma und Sinti in Salzburg festgenommen und mit der Errichtung des Lagers in Maxglan beauftragt. In der Zwischenzeit diente das Gelände der Trabrennbahn in Liefering als Sammellager für Roma und Sinti, drei Familien wurden in eine Pferdebox gepfercht. Das zur Gänze umzäunte Sammellager nahm in der Folge die Formen eines konzentrationslagerähnlichen Arbeitslagers mit 3400 Insassen an. Die Männer wurde zum Autobahnbau herangezogen, es gab körperliche Misshandlungen.

Am 200 Kilometer entfernten Drehort mussten die Rekrutierten spanische Bauern, Mägde und Knechte spielen. Für die Statisten muss die Zeit der Dreharbeiten mit besserer Verpflegung und Versorgung wie eine irrwitzige Finte des Schicksals gewirkt haben. Am 13. November endeten die Dreharbeiten. Entgegen aller möglicherweise gemachten Versprechungen und insgeheimen Hoffnungen bedeutete die letzte Klappe auch das letzte Kapitel im Leben der Darsteller mit dunklerer Hautfarbe. Im Frühjahr 1943 wurden 300 Insassen des Lagers Maxglan auf Anordnung Himmlers nach Auschwitz-Birkenau deportiert und vergast. Ein geringer Teil kam in das Lager Lackenbach. Insgesamt fielen dem Vernichtungswahn der Nazis 500.000 Roma und Sinti zum Opfer, 25.000 davon aus Österreich.

Die Ereignisse rund um „Tiefland“ sollten Leni Riefenstahl ihr langes Leben lang verfolgen. Es kam immer wieder zu Prozessen wegen der Behauptung, sie hätte ihren Komparsen für die Mitwirkung die Freilassung versprochen. Riefenstahl war in vier Spruchkammerverfahren als „Mitläuferin des Nationalsozialismus“ eingestuft worden. 1983 präsentierte die Filmemacherin Nina Gladitz den Dokumentarfilm „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ über das Schicksal der Maxglaner Komparsen. Den Prozess, den Riefenstahl gegen sie angestrengt hatte, gewann Gladitz in den wesentlichen Punkten. Gladitz durfte behaupten, dass Riefenstahl die Darsteller persönlich ausgesucht, zwangsverpflichtet und nicht entlohnt habe. 2002 behauptete Riefenstahl, sie hätte nach dem Krieg alle Roma wiedergesehen, keinem Einzigen sei etwas passiert. Diese Behauptung zog sie wieder zurück, und sie unterschrieb eine Unterlassungserklärung, die eine ehemalige Komparsin, Zäzilia Reinhardt, gegen sie erwirkt hatte. Reinhardt, die zu den Filmarbeiten gezwungen worden war, verlor acht Familienmitgliedern in den KZs.

Bei Faschingsumzügen ertönt heute der „Maxglaner Zigeunermarsch“. Kaum einer weiß, dass dieses Lied wahrscheinlich im „Zigeunerlager“ entstand, wenige stoßen sich an der diskriminierenden Bezeichnung „Zigeuner“, die heute als Schimpfwort oft gebraucht und missbraucht wird. Das Schicksal der Salzburger Roma und Sinti scheint weiterhin für Teile des Establishments ein Tabu zu sein. Warum sonst wurde das Thema weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannt? Das neue „Mahnmal für die Namenlosen“ auf dem Friedhof Salzburg-Maxglan mag ein erster positiver, jedoch auch versteckter Ansatz sein, mehr nicht. Es wurde 2008 eingeweiht. (cs)

LITERATURTIPPS:

Angelika Taschen (Hg.): Leni Riefenstahl – fünf Leben. Köln 2000.

Erika Thurner: Nationalsozialismus und Zigeuner in Österreich. Wien, Salzburg 1983.


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