30. SCHLENKENALMEN, KRISPL

VERSTECKT UND ÜBERLEBT IM GEBIRGE
Die bayerische Jüdin mit tschechischen Wurzeln heiratete den Salzburger Arbeiter Franz Ludwig Schmeisser, den sie als Bergsteigerin bei den Naturfreunden kennengelernt hatte. Die Ehe mit einem „Arier“ schützte sie
nach 1938 vor der Deportation ins KZ, doch als ihr Ehemann eine von den Nazis gewünschte Scheidung verweigerte, wurde er in ein Arbeitslager strafversetzt. Toledo versteckte sich ab 1944 mit ihrer Familie in einem Ferienhaus am schlenken und überlebte.
Irma Rafaela Toledo, 1910 in Laufen als Irma Friedmann geboren, heiratete 1931 einen nichtjüdischen Mann und führte mit ihm ein Geschäft in Freilassing. Nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland 1933 ließen sich die beiden mit ihren Kindern in Salzburg nieder, doch auch hier waren sie ab 1938 nicht mehr sicher. Ehemann Franz meldete sich zunächst freiwillig zur Wehrmacht, um einer zwangsweisen Dienstverpflichtung an der Ostfront zu entgehen, und kam als Funker nach Narvik. Als Toledo einmal mit ihrem Mann, der gerade auf Heimaturlaub war, Arm in Arm über die Salzburger Staatsbrücke ging, hielt sie ein rabiater Nazi auf und drohte ihr, er würde sie als „Saujüdin“ anzeigen, weil sie „eingehängt mit einem deutschen Soldaten“ spazieren ging. Die Wehrmacht schickte Franz Schmeisser bald wieder nach Hause, hatte er doch alles unternommen, um aus gesundheitlichen Gründen als untauglich zu gelten. In Salzburg forderten ihn die Nazis mehrmals zur Scheidung von seiner „nichtarischen“ Frau auf. Als er sich weigerte, kam er zur Strafarbeit ins Arbeitslager Gera. Irma Rafaela Toledo lebte in Todesangst: „Ich habe mich mit den Kindern allein herumgeschlagen und auch an Selbstmord gedacht, um den Mann und die Kinder zu retten. Immer wenn die Treppe geknarrt hat, habe ich geglaubt, jetzt kommen sie mich holen.“ Toledo musste in dieser Zeit ebenfalls Zwangsarbeit verrichten und Uniformen nähen. Die Kinder brachte sie bei Bauern unter. Als bei Franz Schmeisser Tbc ausbrach, wurde er aus dem Arbeitslager entlassen und kehrte nach Salzburg zurück.

1944 spitzte sich die Lage zu. Die Gestapo wollte Irma Rafala Toledo zur Deportation abholen, traf sie zu diesem Zeitpunkt aber nicht in der Wohnung an. Als die Vermieterin, ebenfalls eine NSDAP-Angehörige, ihr davon erzählte, übersiedelte die ganze Familie in ein sogenanntes „Zuhäusl“ bei einem Bauern auf dem Schlenken (Rengerberg). Toledo hatte das „Zuhäusl“ gemeinsam mit ihrem Mann seit längerer Zeit als Ferienhaus gemietet. Sie hoffte, dass die Gestapo sie hier nicht aufstöbern würde. Doch die Gegend um den Schlenken war auch bei Nazis beliebt. Unweit von Zillreith auf dem Höhenrücken Richtung Krispl lag die „Treuvolk-Hütte“, die der Wandervogelbewegung gehörte – einer national orientierten Jugend- und Wanderbewegung, die in Österreich nach 1938 in BdM und HJ aufging. Während der NS-Zeit fanden in der „Treuvolk-Hütte“ zahlreiche BdM- und HJ-Treffen statt.

Die Angst vor der Gestapo war Toledos Begleiter bis zum Ende des Dritten Reichs, aber niemand denunzierte sie. Auf dem Schlenken erlebte sie die Befreiung. „Ich tauchte aus dem Untergrund auf, aus der Todesangst befreit, begann ich zu malen. 1945 begann für mich ein neues Leben. Ich malte jeden Sonntag, wenn die Kinder mit meinem Mann spazieren waren – Naturerlebnisse, Wiesen, die Sonne, den Göll … Ich musste einfach von innen heraus malen, es war für mich ein Erkenntnisweg.“ Irma Rafaela Toledo überlebte, doch beinahe alle ihre Verwandten waren von den Nazis in Konzentrationslagern ermordet worden. Den Künstlernamen Toledo legte sie sich zu, weil sie nicht mit „Schmeisser“ signieren wollte – eine Freundin hatte ihr den Namen in Jugendtagen wegen ihres südländischen Aussehens in Anspielung auf Grillparzers Stück „Die Jüdin von Toledo“ gegeben. Bis ins hohe Alter arbeitete sie als Malerin, bestritt internationale Ausstellungen und verfügte, dass ihr künstlerischer Nachlass der Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“ von Karlheinz Böhm zugute kommen sollte. Irma Rafaela Toledo starb 2002 in Salzburg. (sr)

LITERATURTIPPS:

Daniela Ellmauer u. a. (Hg.): Geduldet, geschmäht und vertrieben. Salzburger Juden erzählen. Salzburg, Wien 1998.


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